1815 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Ï, Erzählungen
3-s
wöhnischrn Menschen, und war also sehr geneigt, den
Leonhard so lange für einen guten Knaben zu hatten, bis
er Gründe halte, das Gegentheil zu glauben. (Welches
ist das Gegentheil?) Er hielt die Beschuldigungen der
atten Haushälterin daher für falsch, beobachtete ab-r
aus Vorsicht Leonharden desto sorgfältiger, und setzte sei,
ne Ehrlichkeit zuweilen auf eine schwere Probe. Da er
ihn aber nie auf einer Lüge berras, so krauete er ihm auch
keine Betrügerei zu. Oft schickte er ihn aus, um etwas
einzukaufen, und gab ihm dann mehr Geld mit, als er
brauchte, aber immer brachte Leonhard das Uebrige treu,
lich wieder, und nicht selten häkle er wohlfeiler eingekauft,
als Herr Schulz geglaubt halte. — Einst ließ dieser
mit Vorsatz ein Goldstück in einer leeren Geldtute, um
zu sehen, ob Leonhard wohl ehrlich genug seyn würde, es
nicht zu behalten. -Leonhard fand das Goldstück, als ge-
rade ein Diener des Herrn Schulz gegenwärtig war.
Das ist ein gucer Fund, rief dieser freudig aus, dafür
wollen wir uns einen guten Tag machen, lieber Leonhard;
denn so einfältig wirst du doch wohl nicht seyn, das
Goldstück dem Herrn wiederzugeben? Allerdings werde
ich es unserm Herrn wiederbringen, antwortete Leon-
hard; denn ihm gehört es. und nicht uns. Mit gurem
Gewissen können wir es nicht behalten, und ich mag mein
gutes Gewissen nicht verlieren. Er lieferte es auf der
Stelle seinem Herrn ab, und dieser war darüber so er-
freut, daß er es «hm zum Geschenk machte. Seit dieser
Zerr verlor er niemals das Zutrauen seines Wohlthäters;
und da dieser keine Kinder hatte, so setzte er den ehrlichen
und treuen Leonhard zum Erben seines ganzen Vermö-
gens ein. — Sprüchw. io, 2. Luc. 16, io,
29. Auch was dir schwer wird, greife
frisch an, und arbeite es zuerst.
„Ach das ist ein schweres Exempel!» rief der träge
Martin, und rieb sich dazu den Kopf. Er stand erst ein
Weilchen vor dem Tische, er sah das Exempel wohl zehn,
mal an, aber immer blieb das Exempel so schwer, als es
gewesen war.