1868 -
Wiesbaden Schleswig Hannover
: Schulbuchh. Schulze Jurany & Hensel
- Hrsg.: Meyn, Ludwig, Johansen, Christian, Keck, Heinrich, Sach, August
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Regionen (OPAC): Norddeutschland
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrthum zur Wahr-
heit und zu ihrer Erkenntniß. Denn als er in diese große und reiche Han-
delsstadt voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen
gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schönes Haus in die Augen,
wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam
noch keins erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dieses
kostbare Gebäude, die Kamine auf dem Dache, die schönen Gesimse und die
hohen Fenster, größer als an des Vaters Haus daheim die Thür. Endlich
konnte er sich nicht enthalten, einen Vorübergehenden anzureden. „Guter
Freund," redete er ihn an, „könntihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt,
dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen,
Sternenblumen und Levkoyen?" —Der Mann aber, der vermuthlich etwas
Wichtigeres zu thun hatte und zum Unglück gerade so viel von der deutschen
Sprache verstand, als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts,
sagte kurz und schnauzig : „Kannitverstanund schnurrte vorüber. Dies
war ein holländisches Wort, oder drei, wenn man's recht betrachtet, und
heißt auf deutsch so viel als: „ich kann euch nicht verstehen." Aberder
gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt
hatte. „Das muß ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan,"
dachte er, und ging weiteri Gass' aus Gass' ein kam er endlich an den
Meerbusen , der da heißt: Het Ey, oder aus deutsch: Das Ipsilon. Da
stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum, und er wußte
anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde,
alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich
ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus
Ostindien angelangt war und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen
ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande.
Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fäffer voll Zuckerund Kaffee,
voll Reis und Pfeffer. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich
einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann
heiße, dem das Meer alle diese Waaren an das Land bringe? „Kannit-
verstan," war die Antwort. Da dachte er: „Haha, schaut's da heraus ?
Kein Wunder! Wem das Meer solche Reichthümer an das Land schwemmt,
der hat gut solche Häuser in die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor
die Fenster in vergoldeten Scherben." Jetzt ging er wieder zurück und
stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer
Mensch sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben
dachte: „Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr
Kannitverstan cs hat," kam er um eine Ecke und erblickte einen großen
Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz
überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie
einen Todten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und
Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar an Paar, verhüllt in schwarze
Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt
ergriff unsern Fremdling ein wehmüthiges Gefühl, das an keinem guten
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