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1. Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 74

1868 - Wiesbaden Schleswig Hannover : Schulbuchh. Schulze Jurany & Hensel
74 deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrthum zur Wahr- heit und zu ihrer Erkenntniß. Denn als er in diese große und reiche Han- delsstadt voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch keins erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dieses kostbare Gebäude, die Kamine auf dem Dache, die schönen Gesimse und die hohen Fenster, größer als an des Vaters Haus daheim die Thür. Endlich konnte er sich nicht enthalten, einen Vorübergehenden anzureden. „Guter Freund," redete er ihn an, „könntihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkoyen?" —Der Mann aber, der vermuthlich etwas Wichtigeres zu thun hatte und zum Unglück gerade so viel von der deutschen Sprache verstand, als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig : „Kannitverstanund schnurrte vorüber. Dies war ein holländisches Wort, oder drei, wenn man's recht betrachtet, und heißt auf deutsch so viel als: „ich kann euch nicht verstehen." Aberder gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. „Das muß ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan," dachte er, und ging weiteri Gass' aus Gass' ein kam er endlich an den Meerbusen , der da heißt: Het Ey, oder aus deutsch: Das Ipsilon. Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum, und er wußte anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fäffer voll Zuckerund Kaffee, voll Reis und Pfeffer. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waaren an das Land bringe? „Kannit- verstan," war die Antwort. Da dachte er: „Haha, schaut's da heraus ? Kein Wunder! Wem das Meer solche Reichthümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben." Jetzt ging er wieder zurück und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer Mensch sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: „Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan cs hat," kam er um eine Ecke und erblickte einen großen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen Todten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar an Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmüthiges Gefühl, das an keinem guten #
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