1868 -
Wiesbaden Schleswig Hannover
: Schulbuchh. Schulze Jurany & Hensel
- Hrsg.: Meyn, Ludwig, Johansen, Christian, Keck, Heinrich, Sach, August
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Regionen (OPAC): Norddeutschland
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
horchen mußte, ob die Flamme nicht schon im Dachgiebel knisterte. Eben
hatte ich mein Morgenlauten besorgt, guckte zum Schallloche hinaus, um
zu schauen, was uns au dem schrecklichen Tage wohl wieder bevorstehen
könne, und zog, zum Himmel blickend und Gott dankend, mein Mützchen
vom Kopse, da mir alles ganz ruhig schien. Ehe ich es jedoch wieder auf-
gesetzt hatte, jagte ein alter schwarzer Husar zum Kirchhofe herein, warf sich
vom Pferde und band seinen Braunen an meinen Fensterladen. Wie mir
zu Muthe ward, kann man sich leicht vorstellen. Ich flog mehr, als ick
ging, die Thurmtreppe hinunter. Er aber ließ mir nicht einmal Zeit,
meinen „guten Morgen !" anzubringen, sondern rief mir im barschen Tone
zu:■ „Geb', er mir den Kirchcnschlüssel, Schulmeister!" Ich erschrak;
denn obgleich das Bischen Kirchenvermögcn und der vergoldete Knch mit
der Hosticnschachtel in Sicherheit gebracht waren, so befand sich doch noch
eine ziemlich reiche Altarbekleidung mit Treffen in der Kirche. Ich legte
mich auf Bitten und Vorstellungen; allein der alte Kriegsmann wollte
davon nichts wissen. Er sah mit einer so ganz eigenen Manier bald auf
mich, bald auf seinen Säbelgriff, daß ich, um Unglück zu verhüten, voran-
ging, um die Kirchthür zu öffnen. Meine Frau, die hinter der Hausthür
gehorcht hatte, und die vor der Gefahr immer verzagter, in der Gefahr aber
immer entschlossener war, als ich, kam aus Besorgniß um mich aus freien
Stücken hinter uns her.
Der Husar drängte sich in der Halle hastig voran, ging, ohne sich
umzusehen, an der Sakristei und dem Altar vorüber und schritt, so schnell
es sein Alter erlaubte, klirr! klirr! die Chortreppe hinauf. Hier setzte er
sich, Athem schöpfend, auf eine Bank und rief mir gebieterisch zu : „Schul-
meister, mach' er die Orgel auf und geb' er mir ein Gesangbuch !" — Ich
that augenblicklich, was er verlangte; meine Frau mußte die Bälge ziehen,
der Husar hatte ein Lied aufgeschlagen und sagte nun in einem weit mildern
Tone: ' „Wie schön leuchtet der Morgenstern ! Spiel' er das, lieber Schul-
meister ; aber so recht fein und ordentlich, er versteht mich wohl!" —
Ich spielte.mit Herzenslust, und nach geendetem Vorspiel fiel der Husar
mit seiner tiefen Baßstimme ein; meine Frau hinter der Orgel und ick
thaten ein Gleiches. Mein Herz wurde so muthig, daß ich mich oft nach
meinem Zuhörer umschaute und ihm ganz dreist in das Gesicht sah. Er
sang mit großer Andacht, hatte die Hände gefaltet, und die hellen Thränen
fielen über den eisgrauen.knebelbart auf das Buch hinab. Jetzt war das
Lied beendet; ich ging auf ihn zu; er schüttelte mir recht treuherzig die
Hand und sprach: „Großen Dank, Herr Kantor! Wo ist der Gotteskasten V
Mein früherer Argwohn, daß es auf Plünderung abgesehen sei, war
nun gänzlich verschwunden. Ich holte unsere Armenbüchse, und der Husar
warf ein Achtgroschenstück hinein. „Wir beide aber, wir theilen den Rest,
Herr Schulmeister", sagte er dann, indem er noch zwei Achtgroschenstücke
aus der Tasche zog, „da nehm' er das eine für seine Mühe!" Ich schlug
es aus; aber er war so ungestüm, daß ich es schlechterdings nehmen mußte.
„Nehm' er, nehm' er," sprach er, „es klebt kein Blut daran!"