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1. Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 204

1868 - Wiesbaden Schleswig Hannover : Schulbuchh. Schulze Jurany & Hensel
204 Und sieh'! in der Fürsten umgebenden Kreis trat der Sänger im langen Talare; ihm glänzte die Locke silberweiß, gebleicht von der Fülle der Jahre. „Süßer Wohllaut schläft in der Saiten Gold; der Sänger singt von der Minne Sold, er preiset das Höchste, das Beste, was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt; doch sage, was ist des Kaisers werth an seinem herrlichsten Feste?" „Nicht gebieten werd' ich dem Sänger", spricht der Herrscher mit lächelndem Munde; „er steht in des größeren Herren Pflicht, er gehorcht d?r gebietenden Stunde. Wie in den Lüften der Sturmwind saust, man weiß nicht, von wannen er kommt und braust, wie der Quell ans verborgenen Tiefen, so des Sängers Lied ans dem Innern schallt und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt, die im Herzen wunderbar schliefen." Und der Sänger rasch in die Saiten fällt und beginnt sie mächtig zu schlagen: „Auf's Waidwerk hinaus ritt ein edler Held, den flüchtigen Gemsbock zu jagen. Ihm folgte der Knapp mit dem Jäger- geschoß, und als er auf seinem stattlichen Roß in eine Au kommt geritten, ein Glöcklein hört' er erklingen fern, ein Priester war's mit dem Leib des Herrn; voran kam der Meßner geschritten. Und der Graf zur Erde sich neiget hin, das Haupt in Demuth entblößet, zu verehren mit gläubigem Christensinn, was alle Menschen erlöset. Ein Büchlein aber rauschte durchs Feld, von des Gießbachs reißenden Fluten ge- schwellt; das hemmte der Wanderer Tritte. Und beiseit' legt jener das Sakrament, von den Füßen zieht er die Schuhe behend, damit er das Bächlein durchschritte. Was schaffst du? redet der Graf ihn an, der ihn verwundert betrachtet. — Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann, der nach der Himmelskost schmachtet. Und da ich mich nahe des Baches Steg, da hat ihn der strömende Gießbach hin- weg im Strudel der Wellen gerissen. Drum, daß dem Lechzenden werde sein Heil, so will ich das Wässerlein jetzt in Eil' durchwaten mit nackenden Füßen. Da setzt ihn der Graf auf sein ritter- lich Pferd und reicht ihm die prächtigen Zäume, daß er labe den Kranken, der sein begehrt, und die heilige Pflicht nicht versäume. Und er selber ans seines Knappen Thier vergnüget noch weiter des Jagens Begier. Der andre die Reise vollführet, und am nächsten Morgen mit dankendem Blick, da bringt er dem Grafen sein Roß zurück, bescheiden am Zügel geführet. Nicht wolle das Gott, rief mit De- muthssinn der Graf, daß zum Streiten und Jagen das Roß ich beschritte fürderhin, das meinen Schöpfer getragen! Und magst du's nicht haben zu eignem Gewinnst, so, bleibt es gewidmet dem göttlichen Dienst! Denn ich hab' es dem ja gegeben, von dem ich Ehre und irdisches Gut zu Lehen trage und Leib und Blut und Seele und Athem und Leben. — So mög' auch Gott, der allmächtige Hort, der das Flehen der Schwachen erhöret, zu Ehren Euch bringen hier und dort, so wie Ihr jetzt ihn geehret. Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt durch ritterlich Walten im Schweizerland; Euch blühen sechs liebliche Töchter. So mögen sie, rief er begeistert aus, sechs Kronen Euch bringen in Euer Haus, und glänzen die spät'sten Geschlechter." Und mit sinnendem Haupt saß der Kaiser da, als dächt' er vergangener Zeiten; jetzt, da er dem Sänger in's Auge sah, da ergreift ihn der Worte Bedeuten. Die Züge des Priesters erkennt er schnell und verbirgt der Thränen stürzenden Quell in des Mantels purpurnen Falten. Und alles blickte den Kaiser an und erkannte den Grafen, der das gethan, und verehrte das göttliche Walten.
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