1868 -
Wiesbaden Schleswig Hannover
: Schulbuchh. Schulze Jurany & Hensel
- Hrsg.: Meyn, Ludwig, Johansen, Christian, Keck, Heinrich, Sach, August
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Regionen (OPAC): Norddeutschland
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
297
Sachsenlandes ein und führt zu den britischen Inseln hinüber. Aus der schönen
Stromebene des mittleren Rheins, einem bergummauerten Gebiete, führen natür-
liche Wasserstraßen durch lange, enge Felsenthore zu reichen, herrlichen Landschaften
tief in das innerste Deutschland und Frankreich hinein. Die Mosel auf der linken»
der Main auf der rechten Seite verbinden Franken und Lothringen. Der Rhein
selbst aber ist die große Handels- und Reisestraße zwischen Süden und Norden,
zwischen Holland und der Schweiz, England und Italien, die eine immer größere
Bedeutung erhält, je lebendiger die Berührungen aller Art zwischen den verschie-
denen Gliedern des europäischen Staatenkörpers werden.
42. Das westfälische Bauernhaus.
Die Westfalen bewahren vielleicht am treuesten die Eigenthümlichkeit des
altsächsischen Stammes. Sie sind gesund und stark von Leib und von festem
und unerschrockenem Muthe. Bei großer Tüchtigkeit und Kernigkeit verharren
sie gern in ihren alten Gewohnheiten; um das große Ganze bekümmern sie sich
wenig, aber in seinem kleinen Kreise wirkt jeder mit Sorgfalt, Liebe und Treue.
Dabei besitzen sie einen unbeugsamen Rechtssinn; mit der äußersten Zähigkeit
und Hartnäckigkeit halten sie das fest, was. sie einmal für gut und recht erkannt
haben.
Der Hanptbestandtheil der Bevölkerung ist der Bauer. Wie der Edelmann
auf seinem Stammschloß, sitzt er auf dem von Vorfahr zu Vorfahr fortgeerbten
Gute. Das große einstöckige Haus, von dessen Giebel meist zwei Pferdeköpfe in
Holz geschnitzt herabschauen, ist seiner bedeutenden Länge nach gewöhnlich in
3 Theile getheilt. In der Mitte der Giebelseite ist die Einfahrt, welche unmittel-
bar auf die Tenne führt. Von da wird die Ernte auf den Speicher unter'm
Dache untergebracht. Rechts und links von der breiten Einfahrt sind die Plätze
für das Vieh abgesondert, das nicht mit den Köpfen gegen die Wand gekehrt steht,
sondern umgekehrt klug und gemüthlich dem Thun und Treiben der Herrschaft
zusieht. Der zweite dahinter liegende Raum, der Wohnplatz der Menschen, ent-
hält den Kochherd mit seiner schwarzen umfangreichen Ueberdachung, in welcher
die mächtigen Schinken, Würste und Speckseiten geräuchert werden. Die Schlaf-
stellen der Familie befinden sich an den Wänden herum in sogenannten Schlaf-
schränken, deren Thüren abends geöffnet werden. In der Mitte des ganzen
Raumes befindet sich der große Familientisch. Das Gesinde schläft in Verschlügen
beim Vieh oder auf dem großen Heuboden über demselben; Hühner und Tauben
sind in kleinen Anbauten an der Tenne untergebracht. Das Ganze überschatten
Bäume; oft sind es hundertjährige Eichen, die ihre Aeste auf das bemooste Dach
des Hauses niederseuken.
Der Herd ist des Hauses innerstes Heiligthum. Er ist fast in der Mitte und
so angelegt, daß die Hausfrau, welche dabei sitzt, zu gleicher Zeit alles übersehen
kann. Ohne von ihrem Stuhl aufzustehen, übersieht sie zugleich 3 Thüren, dankt
denen, die hereinkommen, heißt sie bei sich niedersitzen, behält ihre Kinder
und ihr Gesinde, ihre Pferde und Kühe im Auge, hütet Keller und Kammer,
spinnt immerfort und kocht dabei. Ihre Schlafstelle ist hinter diesem Feuer, und
sie behält aus derselben eben diese große Aussicht, sieht ihr Gesinde zur Arbeit
aufstehen und sich niederlegen, das Feuer anbrennen und verlöschen und alle
Thüren auf- und zugehen,, hört ihr Vieh fressen und beachtet Keller, Boden und
Kammer. Sowie das Vieh gefüttert ist, kann sie hinter ihrem Spinnrade aus-
ruhen, anstatt daß anderwärts, wo die Leute in Stuben sitzen, so oft die Haus-
thür aufgeht, jemand aus der Stube dem Fremden entgegengehen und die Arbeit
solange versäumen muß. Der Platz bei dem Herde ist der schönste unter allen.
Ein rings herabhangendes niedriges Strohdach schützt die schwachen Wände, hält
den Lehm trocken, wärmt Haus und Vieh und wird mit leichter Mühe von dem
Wirthe selbst gebessert. Ein großes Vordach schützt das Haus nach Westen und