1868 -
Wiesbaden Schleswig Hannover
: Schulbuchh. Schulze Jurany & Hensel
- Hrsg.: Meyn, Ludwig, Johansen, Christian, Keck, Heinrich, Sach, August
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Regionen (OPAC): Norddeutschland
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Absprunge zu hindern. Auge und Ohr in schärfster Spannung, liegt er
Tagelang auf dem gleichen Fleck und scheint mit halb gesenkten Lidern zu
schlafen, wenn seine verräterische Wachsamkeit am größten ist. Erlebt
von der List, da sein (wie aller Katzen) stumpfer Geruchsinn, seine verhält-
nismäßig geringe Schnelligkeit ihn zum offnen Angriff nicht befähigen.
Geduldiges Lauern, außerordentlich leises, katzenartiges Schleichen bringt
ihn zu Beute. Er ist nicht so schlau, als der Fuchs, aber geduldiger;
nicht so frech, als der Wolf, aber ausdauernder, vongewandtermsprung;
nicht so kräftig, als der Bär, aber scharfsinniger, aufmerksamer. Seine
größte Kraft liegt in den Füßen, der Kinnlade und dem Nacken. Er weiß
sich die Jagd bequem zu machen und ist nur wählerisch in der Beute, wenn
er Fülle hat- Was er mit feinem langen, sichern Sprung erreicht, wird
niedergerissen; erreicht er sein Thier nicht, so läßt er es gleichgültig fliehen
und kehrt ohne ein Zeichen von Gemüthsbewegung auf seinen Baumast zu-
rück. Er ist nicht gefräßig, aber er liebt das frische, warme Blut und wird
durch diese Liebhaberei unvorsichtig. Erlauert er am Tage nichts und wird
er hungrig, so streift er des Nachts umher, oft ungeheuer weit, aus drei
bis vier Alpen; der Hunger macht ihn muthig und schärft seine Klugheit
und seine Sinne. Trifft er eine weidende Schaf- oder Ziegenherde, so-
schleicht er, schlangenartig auf dem Bauche sich windend, heran, schnellt sich
im günstigen Augenblicke vom Boden auf, dem aufspringenden Thiere auf
den Rücken) zerbeißt ihm die Pulsader oder das Genick und tödtet es so
augenblicklich. Dann leckt er zuerst das Blut, reißt dann den Bauch auf,
frißt die Eingeweide und etwas von Kopf, Hals und Schultern und läßt
das Uebrige liegen. Seine eigenthümliche Art der Zerfleischung läßt die
Hirten über den Thäter nie in Zweifel. Nicht selten aber reißt er drei
bis vier Ziegen oder Schafe auf einmal nieder, ja er fällt im Hunger selbst
Kälber und Kühe an. Ein im Februar 1813 im Kanton Schwyz am
Axenberge geschossener hatte in wenigen Wochen an vierzig Schafe und Zie-
gen zerfleischt. Im Sommer 1814 zerrissen drei oder vier Luchse in den
Gebirgen des Simmenthales 160 Schafe und Ziegen.
Hat der Luchs aber Wildpret genug, so hält er sich an dieses und
scheint eine gewisse Scheu zu haben, sich durch Zerreißung der Hausthiere
zu verrathen. Die in den Alpen lebenden Gemsen fällt er mit Vorliebe
an; doch übertreffen ihn diese an Feinheit der Witterung und entgehen
ihm häufig, selbst wenn er sich an ihre Wechsel und Sulzen in Hinterhalt
legt. Häufiger erbeutet er Dachse, Murmelthiere, Alpcnhasen,
Hasel-, Schnee-, Birk- und Urhühner und greift im Nothfalk
selbst zu Eichhörnchen und Mäusen. Selten fällt ihm bei uns im
Winter, wo er sich so oft in die unteren Berge und selbst in die Thäler
wagen muß, ein Reh zu; dagegen versucht er es wohl, sich unter der Erde
nach den Ziegen- oder Schafställen durchzugraben, wobei einst ein Ziegen-
bock, der den unterirdischen Feind bemerkte, als er eben den Kopf aus der
Erde hob, diesem so derbe Stöße zutheilte, daß der Räuber todt in seiner
Mine liegen blieb. Die Luchse vermehren sich nicht stark. Regelmäßige