1831 -
Halle
: Kümmel
- Autor: Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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X. Erzählungen
»Du bist nicht klug," sagte seine ältere Schwester
Doris. „Du kleines Männchen, du willst hohe Felsen
erklimmen?"
„Höre, Mädchen," rief der empfindliche kleine Frisch,
„halt du dein Plappermäulchen! du verstehst davon
Nichts."
„ Ihre ergebenste Dienerinn, mein hochgeehrtester
Herr Bruder!" verseóte Doris lächelnd. „Dashabe ich
nicht gewußt, daß ein Mädchen über so Etwas nicht
urtheilen sollte. Aber das ist doch erlaubt zu sagen, daß
ein Knabe, wenn er tollkühn ist und närrische Streiche
macht, dabei wohl einmal den Hals brechen kann."
„Laß mich in Ruhe," rief Adolph Frisch, und dre-
hete sich um.
Nach einigen Tagen verläßt der unbesonnene Knabe
das Haus seiner Eltern, und schlendert in das nahe Thal,
das voll Felsen war. „Aha!" rief er seinen Cameraden zu,
die ihn begleiteten, „hier sehe ich einen recht hohen steilen
Felsen, den will ich auch, wie eine Gemse, erklettern."
„ Das laß du bleiben!" sagten seine Cameraden.
Aber Adolph ließ sich nicht abhalten; er kroch den
Felsen hinan; und als er oben stand, rief er den Übrigen
zu: „Bin ich nicht ein Held? Seht ihr mich wohl? Gebt
Acht; jetzt will ich auf Einem Beine stehen!"
Den Knaben, die unter dem Felsen standen, lief
cs vor Schrecken eiskalt über den Rücken.
Der tollkühne Adolph hob wirklich das eine Bein in
die Höhe und stand auf dem andern eine Weile ruhig da.
Doch, ach! er verliert das Gleichgewicht. Darüber er-
schrickt er; sein Leib kippt über, und der unglückliche
Knabe stürzt von dem Felsen, hinab. Todt erreichter den
Boden. ^
Seine Freunde eilen schreckenvoll nach Hause, und
melden den traurigen Vorfall. Der ganze Ort gerath in
Bewegung. Man eilt ins Thal und sieht den Unglückli-
chen jämmerlich zerschlagen in seinem Blute liegen. Man
untersucht ihn, findet aber keine Spur von Leben mehr
in ihm. Seine Eltern, seine Schwester jammern trost-
los. Es hilft Alles Nichts. Er bleibt todt. Alle Ein-
wohner des Orts, die ihn kannten und wegen seiner Mun-