1855 -
Duisburg
: Ewich
- Autor: Ricken, W. M., Schüler, C.
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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160. Das Veilchen..
Draussen an der Hecke, am Bergeshange, dort
sitzt das Veilchen im Herbst wie ein Kind, dem Va-
ter und Mutter gestorben, verlassen und einsam.
Kein Mensch mag es suchen, Niemand bemerkt es.
Es kommt der kalte Winter, Schlossen und Schnee- 5.
flocken fallen, und der scharfe Wind fährt durch die
Berge. Blau-Veilchen hat kein Obdach, keinen Schutz
vor dem bittren Frost. Die hohen Büsche, die im
Frühlinge schön weiss und roth blühen , die Rosen
und Weissdorngesträuche, Buchen und Haseln haben 10.
den ganzen Sommer hindurch in schönen grünen
Blättern geprangt, nun ist ihr Gewand verschossen
und gelb geworden, auch wohl von Würmern und
Raupen zerfressen; da werfen sie, wie reiche hohe
Herren, die alten Kleider stolz hinweg. Ihre Ivnos- 15.
pen haben sie mit harten, glänzenden Schalen um-
hüllt, die sind ein guter Schutz gegen den Frost.
Das arme kleine Veilchen erhält die abgetragenen
Samenkleider der Büsche als warme Decken im kal-
ten Winter. Mit geborgten und erbetenen Sachen 20.
ist es umhüllt, gleich einem Waisenkinde draussen
am Zaun.
Doch jetzt kommt der Frühling und nun wird
das arme Veilchen mit einem Male sehr reich. Un-
ten hat es viele feine Wurzeln, die trinken Maitrank 25.
— niedliche Blätter breiten sich nach allen Seiten
aus, jedes zierlich geformt, wie ein Herz. Adern
ziehen durch dasselbe links und rechts; der Rand
ist mit kleinen Zähnen versehen; es ist ein feiner
Spitzenbesatz an seinem neuen Gewände. Auf diin- 30.
nem Stiele steht die blaue Blüthe keck und luftig,
wie auf einem Bein fertig zum Frühlingstanz in der
warmen Luft. Fünf Blüthenblätter bilden die Blüthe,
fünf Kelchblätter umschliessen sie aussen, Aus blau-
er Seide sind die ersten, grün ist der Ueberwurf, 35.
und die übrigen Blätter bilden das Unterkleid von
gleicher Farbe. Ein goldener Schmuck ist vorn auf
der Brust und einen Sporen hat das untere Blüthen-
blatt, gleich einem vornehmen Ritter und Herren.
Auch der trotzige Bart fehlt ihm nicht, an den Sei- 40.