1861 -
Eisleben Leipzig
: Klöppel G. E. Schulze
- Autor: Westermeier, Franz Ä. Bogislav
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 9
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Reformiert
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Hohngelächter die Schärfe ihrer Schwerter an Lebenden und
Todten. Der Mangel an Lebensmitteln war so groß, daß
mancher Reiche sein ganzes Vermögen für ein Maaß Wai-
zen bot; gierig verschluckte dann der Hungrige 'die rohen
Körner sogleich, damit ein Anderer sie ihm nicht noch ent-
reiße. Die Frau raffte dem Ehemanne, dieser dem Weibe
den Bissen aus den Zähnen; der Vater sah mit Kälte den
Sohn, und die Mutter den Säugling verschmachten. Das
Leder der Schuhe, der Schilder, der Gürtel, sogar der Aus-
wurf der Thiere wurde mit Heißhunger verschlungen. Eine
früherhin reiche Frau, Marie, Eleazars Tochter, ergriff aber,
da ihr jedes Lebensmittel geraubt war, ihr eigenes Kind,
und sich beredend, daß es doch bald ungenützt verschmachten
werde, opferte sie es mit eigner Hand, um mit seinem Fleische
ihren Hunger zrr stillen. Eben hatte sie einen Theil ver-
zehrt, als die Krieger ins Haus drangen. Mit dem Hohn
der Verzweiflung bot sie denselben die andere Hälfte ihres
Kindes dar. Voll Entsetzen aber wichen selbst die rohen
Menschen vor der Greuelthat zurück. Der namenlose Hun-
ger erzeugte, die verheerendsten Krankheiten; die ganze Stadt
glich bald einem großen Beinhause; auf den Straßen lagen
die Leichname umher; die Gräber und zuletzt auch die Häu-
ser wurden mit denselben gefüllt. Diejenigen aber, welchen
es gelang, dem Elende der Stadt zu 'entfliehen, hatten kein
besseres Schicksal, als die darin blieben. In der Meinung,
daß sie Gold verschluckt hätten, schnitten die feindlichen Krie-
ger ihnen den Leib auf, obwohl es der menschliche Feldherr
streng verboten hatte.
"Noch immer hatte Dieser gehofft, das Uebermaaß des
Elends werde die Belagerten zur Uebergabe der Stadt be-
wegen; aber vergebens. In wahnsinniger Schwärmerei er-
wartete die rasende Menge wunderbare Hilfe von den Ju-
den aus Babylon oder von dem Messias, auf den sie noch
hofften.. Da bahnte unter Strömen von Blut das feindliche
Heer sich einen Weg in die Stadt, und schon stand es vor
dem Tempel, der nun nicht mehr die stille, liebliche Wohnung
des Herrn Zebaoth, sondern der Waffenplatz einer räuberischen
und mörderischen Schaar der gottlosesten Menschen gewor-
den war. Ihn wenigstens wollte der edle Titus erhalten;
aber aufs Neue sah er seine Erbietungen mit Hohn zurück-
gewiesen. Da ward der Befehl zum Sturme gegeben. Ein
Feuerbrand flog durch ein goldnes Fenster am Thor in eine
Kammer des Tempels, und in wenigen Augenblicken war