1861 -
Eisleben Leipzig
: Klöppel G. E. Schulze
- Autor: Westermeier, Franz Ä. Bogislav
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 9
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Reformiert
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74. Der Geiger in der Wolfsgrube.
Vor nicht so langer Zeit gab es auch noch in unsern
deutschen Wäldern viele Wölfe, und mancher Bauer weiß
noch die Geschichte von jenem Geiger in der Wolfsgrube
so gut, als wäre sie gestern geschehen, obgleich sie ihm sein
Großvater erzählt hat. Es ging nämlich einmal ein Geigers-
mann von einer Kirchweihe nach Hause, auf welcher er den
Leuten bis tief in die Nacht aufgegeigt hatte. Das Männ-
lein ging ohnehin nicht gern auf gradem Wege und kam
daher auch in dem dicken Forste, durch den er mußte, bald
so weit zur Seite ab, daß er am Ende in eine Grube fiel,
welche der Jäger zum Wolfs fange gegraben hatte. Der
Schreck war schon groß genug für den Geiger, da er so
ohne Weiteres von der ebenen Erde hinunter in die Tiefe
fuhr, wurde aber noch größer, da er unten auf etwas Le-
bendiges fiel, was wild aufsprang; und er merkte, daß es
ein Wolf sei, der ihn mit glühenden Augen ansah. Der
Mann halte Nichts in der Hand als seine Geige, und in
der Angst fängt er au, da vor dem geöffneten Wolfsrachen
alle seine Stücklein aufzugeigen, die ihm aber diesmal selber
gar nicht lustig vorkamen. Dem Wolf mußte aber diese
Musik ganz besonders schön und rührend vorkommen, denn
das dumme Vieh fing an überlaut zu heulen, was wohl,
wie bei unsern musikalischen Hunden, wenn sie Sang und
Klang hören, gesungen heißen sollte. Die andern Wölfe
draußen im Walde, da sie ihren Kameraden drinnen in der
Grube so singen hörten, stimmten auch mit ein, und ihr
Geheul kam manchmal so nahe, daß das Geigerlein, an
welchem kaum ein einziger Wolf satt geworden wäre, ge-
schweige zwei, jeden Augenblick fürchten mußte, es käme
noch ein anderer, auch wohl ein dritter und vierter Gast zu
seinem bischen Fleisch in die Grube herein. Unser Kapell-
meister in der Wüste guckte indeß einmal übers andere in
die Höhe, ob's noch nicht Tag werden wallte, denn das
Geigen war ihm sein Lebtag noch nicht so lang geworden,
und so sauer vorgekommen, als da vor dem Wolfe, und er
hätte lieber Holz dafür hacken wollen, zwanzig Jahre lang
alle Wochentage. Ehe aber der Morgen kam, waren schon
zwei Sauen an seiner Geige zerrissen, und da es Tag wurde,
riß die dritte, und der Geiger spielte nun blos noch auf der
vierten und letzten, und wäre die auch noch zerrissen, so
hätte ihm der Wolf, der durch das viele Heulen die ganze
Nacht hindurch nur noch hungriger geworden war, keine