1859 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
55
strömt5 das reiche würtembergische Unterland, das schwarzwalder
Gebirge, und in weiter Ferne die Berge Lothringens. In einem
schönen Halbkreis gelagert, von Nordwest 'bis Nordost, von der Mün-
dung des Neckars bis zum Ausflüsse des Lechs begränzen die limbur-
gischen und fränkischen Waldungen den Horizont, und verhindern
die weitere Aussicht. Dies sind die äußersten Linien des Kreises, von
dem dieser Berg der Mittelpunkt ist.
Aber innerhalb dieses Kreises, welch' eine bunte Landschaft, welch'
schönes Gemälde! Wie abwechselnd Thal und Berg, Wälder, Fluren
und Flüsse! Welche Menge von Höfen, Dörfern und Städten, die
allenthalben, bald mehr, bald minder versteckt, mit ihren Thürmen und
schimmernden Dächern und Zinnen einen ungemein heitern Anblick ge-
währen. Ganz nahe, dem Anschein nach nur einen Steinwurf weit,
liegt am nördlichen Fuße des Berges die Stadt Gemünd, ehemals
ein Eigenthum des hohenstaufischen Hauses. Eben so nahe, nur auf
des Berges südlicher Seite, breitet sich in einem fruchtbaren Thale das
schöne würtembergische Städtchen Göppingen aus, das gleichfalls zu
dem Besitzthum der hohenstaufischen Familie gehörte. Das frohe Ge-
fühl, in das den Beschauer die lebendige Gegenwart versetzt, wird
getrübt bei dem Anblick so vieler in Trümmern liegender naher Berg-
schlösser, die sich rings über die niedrigen Örter erheben, und wie
Vasallen um den sie alle überragenden hohen Staufen herumstehen.
Rechberg, Staufeneck, Helfenstein, Ramsberg, Scharfenberg, Berneck,
Drachenstein waren ehemals die Sitze blühender Geschlechter, deren
Andenken sogar zum Theil nun verweht ist.
Noch mehr dringt sich der Gedanke an die Vergänglichkeit aller
menschlichen Größe deinem Geiste auf, wenn du deine nächsten Umge-
bungen betrachtest; denn von dem Stammhause der Hohenstaufen ist,
bis auf ein kleines Stück Mauer, auch die letzte Spur verschwunden,
und mit Gras und Disteln ist der Schutt überwachsen. Einsame Ziegen
weiden an den steilen Wänden des Berges und halbnackte Hirtenknaben
trimmeln sich auf der luftigen Höhe, wo einst der mächtige Friedrich
der Rothbart seine Jugend verlebte. Im Bauernkriege 1525 wurde
von dem Schlöffe verbrannt, was verbrennlich war. Die 7 Fuß dicke
Ringmauer desselben, zwei feste Thürme, der Buben- und Mannsthurm
genannt, und die Thore blieben stehen und standen noch 1588. Seit
jener Zeit wurden die Steine von den benachbarten Bauern geholt, die
Thürme niedergerissen, der Brunnen verschüttet. Sie wühlten nach
Schätzen und fanden Menschenklwchen, die sie verschleuderten. Die Natur
selbst scheint hier oben zu trauern über den Untergang der großen Familie,
die hier ihren Wohnsitz hatte. Menschenleer ist die Gegend, verlassen
steht sich der Wanderer, und nur das Geläute der Heerden oder einer
nahen Kirchenglocke dringt hin und wieder zu seinem Ohr.
Am südlichen Abhange des Berges liegt das Dorf Hohenstaufen.
In der alten Kirche desselben, die schon stand, als die Staufen Könige
der Deutschen waren, ist eine kleine, niedrige Thür gegen den Berg