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1. Lehr- und Lesebuch oder die Vaterlands- und Weltkunde - S. 402

1859 - Essen : Bädeker
402 Blicke den kühnen Abenteurern. Nach mehreren Tagen erhob sich ein Ostwmd, der die Fahrt rasch förderte. Bald war alles Land verschwunden. Ein entsetz- licher Gedanke für Menschen, die sich zum ersten Male auf einem von der ganzen lebendigen Welt abgeschnittenen Gezimmer von Balken und Brettern den wilden Wogen Preis gegeben sahen; rings umher Meer und Himmel, immer weiter und weiter fortgetrieben, von einem Verwegenen angeführt, der keine andere Kunde vom Ziele hatte, als die, welche seine Einbildung ihm vorspiegelte! Wahrlich, es war den Beherztesten nicht zu verdenken, wenn ihnen bange wurde; wenn sie den Rasenden verwünschten, der mehr als hundert Menschen so kaltblütig, wie es ihnen schien, mit in sein eigenes Verderben zog. Columbus flößte ihnen indessen durch seine eigene Ruhe Bewunderung und Vertrauen ein. Unermüdet stand er mit Senkblei und Beobachtungsinstrumenten auf dem Verdecke, schlief nur wenige Stunden und zeichnete auch das kleinste Eretgniß auf. Wo er Angst und Traurigkeit bemerkte, da redete er freundlich zu, die Murrenden heiterte er mit Versprechungen auf. Der Wind blies immer stärker, und die Schiffe flogen wie Pfeile dahin. Am 1. Oktober waren sie schon 707 Seemeilen von ihrer Heimath entfernt. Ihre Angst wuchs von Stunde zu Stunde. Da zeigte sich ihnen ein Hoffnungsstrahl. Ein ganzer Schwarm Vögel setzte sich auf ihre Masten nieder. Aber sie wußten noch nicht, daß die Seevögel viele hundert Meilen weit fliegen können. Einige Tage später war die See mit grünem Meergrase bedeckt, so daß die Schiffe in ihrem Lauf fast aufgehalten wurden. Aber Gras und Vögel verschwanden wieder, und die Armen sahen sich aufs neue auf dem wetten öden Ocean allein. Da brach unter der Mannschaft der Sturm des Aufruhrs endlich los; einige faßten sogar den verruchten Gedan- ken, den Columbus, wenn er sich weigere, zurückzukehren, über Bord zu wer- fen. Columbus stellte sich, als ob er ihre meuterischen Absichten gar nicht merke, und es gelang ihm nochmals, sie durch sein heiteres Vertrauen zu besänf- tigen; er erklärte, daß er mit seinen bisherigen Fortschritten zufrieden sei und gewiffe Hoffnung habe,'sein Ziel bald zu erreichen. Vögel erschienen und verschwanden wieder; die Sonne ging auf und unter, und die Schiffe flogen noch immer pfeilschnell nach Westen. Die Angst der Schiffsleute verwandelte sich in Verzweiflung, und sie erklärten, daß sie nicht weiter gehen würden. Da entfaltete Columbus die ganze Kraft seines Geistes. Mit Festigkeit erklärte er ihnen, es sei alles umsonst, er werde von dem Unter- nehmen nicht abstehen, bis er mit Gottes Hülfe Indien gefunden habe. — Schwer- lich aber würde er im Stande gewesen sein, die verzagte meuterische Rotte noch länger im Zaume zu halten, wenn sich nicht am folgenden Tage bestimmtere Spuren von der Nähe des Lanoes gezeigt hätten. Rohr und ein Baumast mit rothen Beeren schwammen auf sie zu und sogar einen künstlich geschnitzten Stab fischten sie auf. Die Sonne war eben untergegangen. Columbus befahl, sorgfältige Wache zu halten, um nicht etwa bei Nacht auf Klippen zu stoßen. Dem, welcher zuerst Land erblicken würde, versprach er eine große Belohnung. Die größte Aufregung herrschte auf den Schiffen; kein Auge schloß sich. Zwei Stunden vor Mitternacht erblickte Columbus ein Licht von ferne. Der Schim- mer war vorüberschwimmend und ungewiß; aber Columbus betrachtete ihn als eine sichere Bürgschaft des Landes, und wirklich erscholl um 2 Uhr des Morgens (am 12. Oktober) von einem andern Fahrzeuge ein Kanonenschuß, — und „Landl Land!" erscholl es jetzt aus jedem Munde. Man stürzte einander in die Arme, einer schluchzte vor Freude an des andern Brust. Nach der ersten Trunkenheit des Entzückens erinnerte man sich seiner höher» Pflicht und stimmte mit innigster Andacht das Te De um (Herr Gott, dich loben wir) an. Als der Morgen anbrach, sah das Schiffsvolk — mit welchen Empfindungen! — eine schöne grüne Insel vor sich liegen. Mit Sonnenaufgang bestiegen sie die Boot« und ruderten unter kriegerischer Musik mit fliegenden Fahnen dem Lande zu. Am Ufer hatten sich viele Einwoh- ner der Insel versammelt, die eben so sehr über die seltsamen Gäste erstaunten,
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