1839 -
Reutlingen
: Fischer
- Autor: Gebauer, Christian August
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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diese so weinen sah, mit schönen Trost sprächen aus dev
heiligen Schrift, die sie in der Schule gehört hatte, oder
mit Versen ans guten christlichen Liedern, z. B. mit dem
Vers aus dem kinderfrvmmen Liede des Hans Sachs:
„Warum betrübst du dich, mein Herz," mit dem Vers:
„Ach Gvtt, du bist noch heut so reich, als du gewesen
ewiglich; mein Vertrauen steht ganz zu dir," und mit
dem Vers aus Paul Gerhards Liede: „Schickt uns Gott
ein Kreuz zu tragen, dringt herein Angst und Pein, sollt
ich drum verzagen?" Oder sie sagte zu der sorgenden
Mutter: „Liebe Mutter, weinet nur nicht, wir wollen
recht beten und arbeiten; wenn ich aus der Schule kom-
me, will ich fleißig Strohhüte flechten, der liebe Gott
wird uns nicht -verlassen."
So vergicng fast ein Jahr nach des Vaters Tode;
die Wittlve hielt mit ihrem einigen Kinde sparsam und
treulich Haus, und beide hatten durch Gottes Segen
keinen Mangel. Das Mägdlein gieng fleißig zur Schule,
flocht nach der Schule eben so fleißig Stroh zu Hüten;
seine einzige äußerliche Unterhaltung und Freude war
eine Henne, die sich die kleine Waise vom Küchlein auf-
erzogen und mit dcit abgespartcu Brotkrumen ernährt
hatte. Eines Tages in der Acrndtezeit geht die Mutter
zu einem Bauer in dem nächsten Dorfe, um bei diesem
Hafer rechen zu helfen, das Mägdlein aber geht nach
seiner Gewohnheit in die Schule, und seht sieh, sobald
cs nach Haufe gekommen, vor die Thüre seiner Hütte
hin, um Stroh zu Hüten zu flechten. Da kommt ein
Nachbarmädchen von zwölf Jahren, ein Kind von sehr
wilder Art, und will Nvsinen nöthigen, mit ihr herum
zu springen und Muthwilkeu zu treiben. Die kleine
fromme Waise will das nicht. Hierüber erzürnt, reißt
sie das stärkere Nachbarmädchen zu Boden und kniet ihr