1854 -
Stuttgart
: Hallberger
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Regionen (OPAC): Württemberg
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Seite auf die andere, neigte sich auf die Erde herab, hob sich wieder
in die Höhe und verlor sich unter den übrigen Zweigen. Kein Wind
wehete, die Lust war gänzlich still, und ich hatte allerhand Gedanken
über diese Erscheinung, als mich ein Ceylonese besuchte. Ich zeigte
ihm, was mich in Verwunderung setzte. Er sah nach den Bäumen
hin, wurde ganz blaß im Gesicht und wollte vor Schrecken zur Erde
sinken. Er bat mich, daß ich den Augenblick alle meine Thüren und
Fenster verriegeln und verwahren möchte; denn was ich für den Zweig
eines Baumes halte, sei eine ungeheure Schlange, die sich an solchen
Bewegungen belustige und auf die Erde schieße, um Beute zu machen.
Ich erkannte bald, daß er Recht hatte; denn nicht lange darauf
sah ich, daß sie ein kleines Thier auf der Erde haschte und mit sich
unter die Zweige des Baumes nahm. Als ich mich bei dem Ceylo-
nesen näher nach dem Ungeheuer erkundigte, sagte er mir,'daß man
es auf der Insel nur allzu wohl kenne, daß es sich sonst gewöhnlich
in der Mitte der Wälder aufhalte, und aus dick bewachsenen Bäumen
auf die vorbeigehenden Menschen und Thiere herabstürze und sie leben-
dig verzehre.
Wir versammelten uns hierauf zwölf Personen an der Zahl
und ritten wohlbewaffnet hinter ein dichtes Gebüsch, wo wir die
Schlange mit unsern Flinten erreichen konnten. Als wir sie nun in
der Nähe betrachteten und ihre ungeheure Größe, welche in der
Ferne nicht so bedeutend zusein schien, wahrnahmen, ergriff uns alle
ein Schauder, und Keiner wagte einen Schuß zu thun, weil man sie
zu verfehlen fürchtete. Alle Ceylonesen, die bei mir waren, gestanden,
daß diese da alle, die sie jemals gesehen hätten, an Größe überträfe.
Sie war dicker, als der Leib eines magern Menschen, schien aber
nicht fett zu sein, und war im Verhältniß ihrer Dicke sehr lang.
Mit ihrem Schwanz hing sie sich an einen der obersten Zweige des
Baumes, und mit dem Kopf reichte sie bis auf die Erde. Sie war
außerordentlich geschwind und machte in einem Augenblick tausend
Wendungen mit ihrem Körper. Sie kam herab, wickelte den Schwanz
um den Stamm des Baumes, legte sich der Länge nach auf die Erde,
und in einem Augenblick hatte sie sich wieder unter den Aesten des
Baumes verloren. Mitten unter diesen Luftsprüngen sahen wir, daß
sie sich mit ungemeiner Schnelligkeit zurückzog, und sich unter die
Zweige still hinlegte. Wir merkten bald die Ursache davon: ein
kleiner Fuchs, den sie unstreitig gesehen hatte, wollte unter dem Baum
vorbeigehen; allein die Schlange schoß auf ihn herab und hatte ihn