1854 -
Stuttgart
: Hallberger
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Regionen (OPAC): Württemberg
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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und Wurfspieß waren von früh an fein Spielzeug und bald seine Waffe,
die er nie mehr von sich ließ. Ein Lieblingsspiel der Jugend war, auf
scharfe Spieße, welche ihnen ältere Männer in ganzen Reihen entgegen
hielien, einzuspringen, und Körper und Auge so zu gewöhnen, daß die
Schnelligkeit und Gewandtheit des Anlaufs die Gefahr glücklich über-
wand. Nicht die verdorbene Luft verschlossener Stuben, nicht ein tage-
langes Stillsitzen mit zusammengekrümmten Gliedmaßen, und vor allen
Dingen nicht eine verdorbene Einbildungskraft, welche Lüste und Begier-
den frühzeitig weckt und den Menschen erschlafft, hemmten die gesunde
Ausbildung des Wuchses; denn die Keuschheit war bei ihnen eine so
große Tugend, daß ein Jüngling, welcher sie verletzte, von seinen Ge-
noffen verachtet wurde. So dürfen wir uns nicht wundern, daß die
Deutschen ein so überaus starkes Volk waren und daß sie den Römern,
die von Natur mittelmäßigen Wuchses waren, als Riesen erschienen. Teuto-
boch, König der Cimbern, setzte über vier bis sechs nebeneinander gestellte
Pferde hinweg, und er war nicht der einzige, der das vermochte. Als
die Cimbern in Italien an den Etschstuß kamen und keine Brücke fan-
den, da stellten sich ihre stärksten Krieger drei bis vier Mann hoch in
den Strom quer hinüber und legten Schild an Schild zusammen, um
das Wasser aufzustauen, damit das übrige Heer inzwischen durch die auf
solche Weise gebildete Furth hinüberziehe; das Wasser war zwar gewalti-
ger als ihre Kühnheit und riß die lebendige Mauer hinweg. Aber
welches Kraftgefühl müssen diese Völker gehabt haben, daß sie sich sol-
ches unterstehen konnten.
Die Männer übten sich viel in den Waffen, bald im Kriege, bald
aus der Jagd; denn nur diese beiden Beschäftigungen hielten sie eigent-
lich für des freien Mannes würdig. Früh nahm der Vater seinen
Sohn mit auf die Jagd, daß er seinen Wurfspieß gebrauchen lernte;
der schönste Tag für den Jüngling war aber der, wenn er in der
öffentlichen Volksversammlung von dem Fürsten oder von seinem Vater-
feierlich mit Schwert, Schild und Speer geschmückt und dadurch in die
Zahl der Männer aufgenomnlen wurde. Nun durfte er mit in den
Krieg ziehen und mit in der Volksversammlung erscheinen und bei den
öffentlichen Angelegenheiten auch seine Stimme geben.
Vor allen Dingen rühmen die Römer die Treue der Deutschen;
Nichts war ihnen verhaßter als Lug und Trug. „Ein Mann, ein Wort!"
hieß es bei ihnen. Unwandelbare Treue übte der Mann gegen seine
Frau, und die Frau gegen den Mann, Väter und Söhne, Nachbarn,
Gemeiudegenosstn rmd die zu einem Völkerbünde Gehörigen unter ein-