1854 -
Stuttgart
: Hallberger
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Regionen (OPAC): Württemberg
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Gebet überschwenglich erhört und mich fein gesegnet. Ich habe mich nun viele
Jahre in dieser Stadt ausgeruht, Gott hat mir gute Zehrung gegeben, dazu
Geld in den Kasten, gute Kleider, gute Wohnung, und dazu fromm Gemahl
und gesunde Kinder, auch treu Gesinde. Für solche überschwengliche Wohl-
thaten kann ich ihm nicht genug danken! "
Psalm 50, 15. Rufe mich an in der Noth, so will ich dich erretten, so
sollst du mich preisen.
183. Das Hallische Waisenhaus.
(Von 1700 an.)
Vor einem der Thore in Halle (einer Stadt in Preussen, an der Saale
gelegen) steht ein hohes Gebäude, das über seinem Eingang Jes. 40, 31. als
Inschrift trägt: »Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auf-
fahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie
wandeln und nicht müde werden.« Dieser Eingang führt durch das Vorder-
gebäude in einen sehr langen Hof, in eine wahre Strasse, auf deren beiden
Seiten hohe Häuser stehen. Hier erblickt man ein Waisenhaus für arme Kin-
der, eine Erziehungsanstalt für Kinder aus höheren Ständen, eine Buchdrucke-
rei, besonders zum Druck von Bibeln, eine grosse Buchhandlung, viele Wirth-
schaftsgebäude, Gärten u. dergl.
Alles dieses ist erwachsen aus der gesegneten Glaubensarbeit des armen
Predigers und Professors August Hermann Franke, geboren in Lübeck im
Jahr 1663. Dieses Waisenhaus mit allen damit zusammenhängenden Gebäu-
den und Anstalten hatte, wie alles Grosse, einen gar kleinen Anfang. Es
ging damit folgendermassen zu: an jedem Donnerstag kamen Arme aus Fran-
kes Gemeinde in das Pfarrhaus. Statt ihnen bloss Almosen in Brod oder
Geld zu reichen, sprach er mit ihnen über christliche Wahrheiten und schloss
jedesmal mit einem Gebet. Weil er selber arm war, so entzog er sich eine
Zeit lang das Abendessen, um Geld für die Armen zu erübrigen. Im Jahr
1695 hing er in seiner Wohnstube eine Armenbüchse auf und liess oben da-
rüber den Spruch schreiben: 1 Joh. 3, 17 : »Wenn Jemand dieser Welt Güter
hat und siehet seinen Bruder darben, und schleusst sein Herz vor ihm zu,
wie bleibet die Liebe Gottes in ihm?« und darunter die Worte des Paulus:
2 Kor. 9, 7.: »Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.« Nach Verlauf von einem
Vierteljahr gab eine Person auf einmal 4 Thaler 16 Groschen (8 fl. 12 kr.)
hinein. »Als ich dieses in die Hände nahm,« so erzählt er selbst, »sagte ich
mit Glaubensfreudigkeit: das ist ein ehrlich Kapital, davon muss man etwas
Kechtes stiften, ich will eine Armenschule damit anfangen. — Ich besprach
mich nicht darüber mit Fleisch und Blut, sondern fuhr im Glauben zu und
machte noch desselben Tages Anstalt. — Es wurden für zwei Thaler Bücher
gekauft und an arme Kinder vertheilt; ein armer Student musste ihnen täg-
lich zwei Stunden Unterricht geben. Die Bettelkinder nahmen die neuen Bücher
mit Freuden an; aber von 27 Büchern, die unter sie vertheilt worden, wurden
nicht mehr als vier wiedergebracht; die andern Kinder behielten oder ver-
kauften die Bücher und blieben weg.« — Franke liess sich dadurch nicht ab-
schrecken; er kaufte neue Bücher, räumte einen Saal neben seiner 8 tu dir-