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1. Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs - S. 402

1854 - Stuttgart : Hallberger
402 es ist doch nur ein körperlicher Schmerz; hat er aber einmal Frau und Kin- der, dann brennen ihm die Thränen, die der Hunger seinen Lieben auspreßt, wie Feuer auf die Seele, die Noth wird dann ein den innern Menschen fast erdrückender, Herz durchbohrender Schmerz. In dieser Lage war der arme H. Die gute Frau, von langer Noth und Kummer krank, das Töchterchen, die einzige Person in der Familie, die seit einigen Tagen ein wenig Brod bekommen hatte, auf der Thürschwelle sitzend und vor Hunger weinend. Der Vater, der wohl vor Mattigkeit kaum mehr aufrecht stehen konnte, drängt sein bleichgehärmtes Gesicht ans Fenster und sieht hinaus. Aber draußen war finstere Nacht und sehr starker Regen und Sturm; in seinem Herzen sprach es immer: ohne Hülfe, ohne Hülfe! Da wurde das geängstete, zerschlagene Herz auf einmal von seinen Banden frei, es konnte recht innig und mit tausend milden Thränen zu dem flehen und um Hülfe seufzen, der unsere Zuversicht und Zuflucht noch sein will, wenn keine Menschenhülfe mehr nützen kann. — Aber wer soll ihm denn noch heute, und sein Herz mußte in dieser äußersten Noth bitten „noch heute", in diesem Regenwetter und Sturm Brod bringen? Da kommt auf einmal noch Jemand auf der finstern, steilen Treppe herauf, sucht an der Thüre, cs war der Hausknecht aus dem gegenüberstehen- den Gasthof. Ein dort liegender Fremder hatte einen Schneider begehrt, der ihm schnell, noch in dieser Nacht, ein Paar Beinkleider fertigen sollte; der Hausknecht hatte in dem schlimmen Wetter nicht erst weit nach einem ihm bekannten Meister gehen mögen und rief denn den armen H. Da dieser zu dem Fremden in seiner armen Kleidung und mit seiner von langem Kummer schüchtern gewordenen Miene hineintritt, mißt ihn der mit großen Augen, fragt ihn, ob er sichs wohl getraue, das verlangte Kleidungs- stück zu fertigen, er (der Fremde) sei überaus eigensinnig, und ihm habe noch kaum ein berühmter Meister Kleidungsstücke dieser Art zur vollen Zufrieden- heit, und doch auch mit der nöthigen Bequemlichkeit gefertigt. Das dazu bestimmte Tuch sei sehr fein und theuer, es sei deßhalb sehr schade, wenn es verdorben würde, er wolle ihm lieber einige Groschen dafür geben, daß er sich herbemüht habe, und einen andern Meister rufen lassen. Der arme, in seinem Handwerk wirklich geschickte H. fühlt sich über jenen Mangel an Zutrauen tief gekränkt, versichert, er wolle den Fremden wohl zufriedenstellen, und dieser gibt ihm das Tuch mit der Aeußerung: nun, er wolle das nur einmal an eine sehr wahrscheinlich mißlingende Arbeit wagen. Die Liebe gibt dem armen, aus Hunger sehr müden H. Kraft, die ganze Nacht durchzuarbeiten. Er sitzt ja bei dem Bette seiner lieben Frau und
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