1854 -
Stuttgart
: Hallberger
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Regionen (OPAC): Württemberg
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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sonders die Psalmen, sodann las er das neue Testament und Lieder. In der
Zwischenzeit hätte er selber gerne Lieder gedichtet: aber wie das machen
ohne Papier und Feder und Vinte? — Doch die Noth macht erfinderisch. Nach
einigen andern, weniger gelungenen Versuchen kratzte er mit der Spitze sei-
ner Lichtputze Buchstaben in die weisse Wand, und wenn dieselben auch an-
fangs gross waren, so lernte er sie nach und nach kleiner und feiner machen.
So überschrieb er nun die ganze Wand in Stube und Kammer, so weit er
reichen konnte, mit Liedern, die er gedichtet hatte. Die Lieder stunden nun
zwar an der Wand; aber wie sie mitnehmen, wenn er etwa wieder frei wer-
den sollte ?
Steinhofers Predigtbuch war auf Schreibpapier gedruckt ; wenn er etwas
Hartes unter ein Blatt legte , konnte er mit der Spitze der Lichtputze darauf
schreiben, dass gute Augen es lesen konnten. Das that er denn recht fleissig.
Doch die Lichtputze nützte sich ab, und das Buch war bald voll, da er nur
eine Seite benützen konnte. Da nahm er seine Schere zu Hülfe. Selbst die
dünnen Blätter seiner baltischen Bibel mussten ihm dazu dienen.
Als seiner Frau und später auch seinen Kindern die Erlaubniss zu Theil
ward, an ihn zu schreiben, so freuten ihn die Briefe derselben nicht nur we-
gen ihres Inhalts, sondern weil er in ihnen immer auch wieder Papier bekam,
wo er zwischen die geschriebenen Zeilen seine w’eissen Zeilen hineinkratzen konnte.
Und was hat er denn auf diese Weise zusammengeschrieben? — Ueber
hundert Lieder, die nach seiner Befreiung gedruckt erschienen sind, und von
denen auch unser Gesangbuch eines enthält. (Nro. 207.) Auch andere Sachen
schrieb er so, z. B. ein Büchlein mit der Aufschrift: »Eines alten Mannes
muntere Stunden während eines engen Festungsarrestes.«
Seine Frau starb im dritten Jahr seiner Gefangenschaft ihm zum grossen
Schmerz. Er selbst wurde bedenklich krank, so dass man besorgte, sein
Ende möchte herbeikommen. Doch es war noch nicht an dem; im Gegentheil
erlangte er seine Gesundheit schnell auf eine ausserordentliche Weise. Dar-
über müssen wir ihn selber hören: »In Hohentwiel war ich an dem Hüftweh
und an Gliederschmerzen erbärmlich krank, musste mich unter dem einen Arm
einer Krücke bedienen und in der andern Hand einen Stock halten , und
konnte dennoch mit genauer Noth also etliche Schritte weit zum Tisch oder
Bett kommen.
An einem Morgen setzte ich mich also an den Tisch, legte die Krücke
und Stock auf denselben, las in der Bibel die Geschichte , wie Jesus den zu
ihm gebrachten Gichtbrüchigen gesund gemacht, gab ihm in meinem Herzen
die Ehre, dass er auch noch jetzt auf seinem Thron eben dieses thun könne,
wo er Glauben antreffe, bat aber in Ansehung meiner Person um Nichts. Als
es Essenszeit war, kam der Commandant, Herr General von Boman, nebst
dem Arzt, Dr. Eppli von Diesenhofen , gegen weiche ich mich entschuldigte,
dass-ich sie weder an der Thüre empfinge, noch bis an dieselbige begleitete,
weil ich ausser Stand sei, es zu thun. Als Herr Dr. Eppli meine Krücke und
Stock auf dem Tisch liegen sah, sagte er: »Ei behüte Gott; was für fürcli-
tige Instrumente!« Ich versetzte: »Ich danke Gott, dass er Holz habe wach-
sen lassen, welches mir nun so gute Dienste leistete«. Als sie fort waren und
ich an Nichts dachte, stand ich auf und fand, dass ich im Stande war, frei zu