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1. Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs - S. 406

1854 - Stuttgart : Hallberger
406 sonders die Psalmen, sodann las er das neue Testament und Lieder. In der Zwischenzeit hätte er selber gerne Lieder gedichtet: aber wie das machen ohne Papier und Feder und Vinte? — Doch die Noth macht erfinderisch. Nach einigen andern, weniger gelungenen Versuchen kratzte er mit der Spitze sei- ner Lichtputze Buchstaben in die weisse Wand, und wenn dieselben auch an- fangs gross waren, so lernte er sie nach und nach kleiner und feiner machen. So überschrieb er nun die ganze Wand in Stube und Kammer, so weit er reichen konnte, mit Liedern, die er gedichtet hatte. Die Lieder stunden nun zwar an der Wand; aber wie sie mitnehmen, wenn er etwa wieder frei wer- den sollte ? Steinhofers Predigtbuch war auf Schreibpapier gedruckt ; wenn er etwas Hartes unter ein Blatt legte , konnte er mit der Spitze der Lichtputze darauf schreiben, dass gute Augen es lesen konnten. Das that er denn recht fleissig. Doch die Lichtputze nützte sich ab, und das Buch war bald voll, da er nur eine Seite benützen konnte. Da nahm er seine Schere zu Hülfe. Selbst die dünnen Blätter seiner baltischen Bibel mussten ihm dazu dienen. Als seiner Frau und später auch seinen Kindern die Erlaubniss zu Theil ward, an ihn zu schreiben, so freuten ihn die Briefe derselben nicht nur we- gen ihres Inhalts, sondern weil er in ihnen immer auch wieder Papier bekam, wo er zwischen die geschriebenen Zeilen seine w’eissen Zeilen hineinkratzen konnte. Und was hat er denn auf diese Weise zusammengeschrieben? — Ueber hundert Lieder, die nach seiner Befreiung gedruckt erschienen sind, und von denen auch unser Gesangbuch eines enthält. (Nro. 207.) Auch andere Sachen schrieb er so, z. B. ein Büchlein mit der Aufschrift: »Eines alten Mannes muntere Stunden während eines engen Festungsarrestes.« Seine Frau starb im dritten Jahr seiner Gefangenschaft ihm zum grossen Schmerz. Er selbst wurde bedenklich krank, so dass man besorgte, sein Ende möchte herbeikommen. Doch es war noch nicht an dem; im Gegentheil erlangte er seine Gesundheit schnell auf eine ausserordentliche Weise. Dar- über müssen wir ihn selber hören: »In Hohentwiel war ich an dem Hüftweh und an Gliederschmerzen erbärmlich krank, musste mich unter dem einen Arm einer Krücke bedienen und in der andern Hand einen Stock halten , und konnte dennoch mit genauer Noth also etliche Schritte weit zum Tisch oder Bett kommen. An einem Morgen setzte ich mich also an den Tisch, legte die Krücke und Stock auf denselben, las in der Bibel die Geschichte , wie Jesus den zu ihm gebrachten Gichtbrüchigen gesund gemacht, gab ihm in meinem Herzen die Ehre, dass er auch noch jetzt auf seinem Thron eben dieses thun könne, wo er Glauben antreffe, bat aber in Ansehung meiner Person um Nichts. Als es Essenszeit war, kam der Commandant, Herr General von Boman, nebst dem Arzt, Dr. Eppli von Diesenhofen , gegen weiche ich mich entschuldigte, dass-ich sie weder an der Thüre empfinge, noch bis an dieselbige begleitete, weil ich ausser Stand sei, es zu thun. Als Herr Dr. Eppli meine Krücke und Stock auf dem Tisch liegen sah, sagte er: »Ei behüte Gott; was für fürcli- tige Instrumente!« Ich versetzte: »Ich danke Gott, dass er Holz habe wach- sen lassen, welches mir nun so gute Dienste leistete«. Als sie fort waren und ich an Nichts dachte, stand ich auf und fand, dass ich im Stande war, frei zu
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