1860 -
Stuttgart
: Hallberger
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
den bewohnt war. Hier hatten sie während des ganzen jüdischen Kriegs eine sichere
Freistätte. Der damalige römische Kaiser Nero übertrug jetzt dem Vespasian, einem
berühmten Feldherrn, den Oberbefehl gegen die Juden, und mit 6«,000 Streitern
zog dieser gegen das empörte Land. Allein die Juden ließen den Muth nicht sinken;
und obwohl sie den kriegserfahrenen Römern an Macht weit nachstanden, so wäre
doch vielleicht ihr wilder Eifer und ihr Religionshaß gegen die verachteten Heiden
im Staude gewesen, das Fehlende zu ersetzen. Allein ein zweiter Uebelstand mußte
immer fühlbarer werden. Zu einem siegreichen Widerstand hätte das Volk eines
obersten Anführers, eines von Allen anerkannten Messias, bedurft; dieser aber fehlte
und konnte gar nicht kommen. Mehrere warfen sich zu Führern auf, von denen
jeder sich selbst für den Messias ausgab, dagegen von den andern wieder verwor-
fen wurde. So lähmte die innere Zwietracht, die öfters in offene Feindseligkeit aus-
brach, den Widerstand der Juden gegen die ohnehin übermächtigen Römer.
Vespasian wandte sich zuerst nach Galiläa, wo der jüdische Geschichtschreiber
Josephus die Heeresmacht gegen die Römer befehligte. Hier eroberte er die festen
Städte und Flecken, wobei schon über 40,000 Juden um das Leben kamen, und
Josephus selbst gefangen wurde. Unterdessen hatte Kaiser Nero ein Ende mit
Schrecken gefunden, und das römische Heer in Syrien rief seinen Feldherrn Vespasian
zum Kaiser aus. Dieser ging nach Nom, um sich die Krone zu sichern und überließ
seinem Sohn Titus die Fortsetzung des jüdischen Kriegs. Durch die Einnahme
der Hauptstadt sollte dieser geendigt werden.
Als Titus vor dieselbe rückte, hatte das Werk der Zwietracht in ihrem Innern
bereits begonnen. Den Neichen und Vornehmen wurde bang für ihren Reichthum und
ihr gemächliches Leben; sie wünschten daher dem Krieg durch zeitige Unterwerfung
ein Ende zu machen und die Zerstörung der Stadt abzuwenden. Dadurch wurden
aber die Eiferer um das Gesetz, welche die Uebermacht in der Stadt hatten, nur
desto mehr ausgebracht, so daß sie über die Häupter der friedliebenden Partei her-
sielen und eine große Anzahl derselben, darunter auch die Hohenpriester, ermordeten.
Aber auch diejenigen, welche in dem Entschluß, den Widerstand bis aufs Aeußerfte
fortzusetzen, übereinstimmten, waren unter sich in mehrere Parteien getheilt, und
öfters, wenn die Feinde von außen unthätig waren, brach der Parteihaß im Innern
der Stadt in offenen Bürgerkrieg aus. Tag und Nacht währte das Geschrei und
Toben der Kämpfenden, und in der heillosen Verwirrung verbrannte eine solche
Menge Getreide in der Stadt, daß dadurch hauptsächlich die später entstandene, ent-
setzliche Hungersnoth veranlaßt wurde.
Es war gerade Osterzeit des Jahres 70 nach Chr. Geburt; und des Festes
wegen war eine Menge fremder Inden in Jerusalem zusammengeströmt. Josephus
schätzt die ganze Zahl der Anwesenden auf fast 3,000,000. Diese Fluth von Menschen
wurde durch das anrückende Heer in den engen Raum der Stadt zusammengedrängt,
und als in Folge der inneren Unordnung und des Aufruhrs Mord und Brand die
belagerte Stadt heimsuchte, da mußte bald unter jener Masse von Menschen die schreck-
lichste Hnngersnoth einreißen.
Der beispiellose Kampf dauerte vom 12. Mai bis zum 11. Sept. Am fünf-
zehnten Tag der Belagerung war es den Römern gelungen, die erste Mauer, welche
den Stadttheil Bezetha umschloß, zu nehmen, und neun Tage später eroberten sie
auch die zweite Mauer und mit derselben die untere Stadt Akra, so daß die
Inden nur noch die Burg Antonia, den Tempel und die obere Stadt Zion behaupten -