1860 -
Stuttgart
: Hallberger
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Schon früh hatte er die Nachtheile bemerkt, welche die jüngeren
Kinder leiden, während die älteren die Schule besuchen, die Eltern
aber ihren Berufsarbeiten nachgehen. Nicht bloß Gefahren für Leben
und Gesundheit sind die unbeaufsichtigten Kleinen ausgesetzt, sondern
ihr Geist kann sich in der Einsamkeit nicht entwickeln, deßhalb bleiben
sie zurück. Oberlin machte seine Frau auf dieses Uebel aufmerksam,
und diese, welche eben so menschenfreundlich dachte, als ihr Gatte,
bestellte Aufseherinnen, welche die Kinder von zwei bis sechs Jahren
um sich sammelten und dieselben mit Spiel und kleinen Arbeiten be-
schäftigten. Unter diesen Aufseherinnen befand sich ein junges Bauern-
mädchen, welches als die eigentliche Begründerin der Bewahranstalten
zu betrachten ist, weil sie nach dem bald erfolgten Tode der Pfarrerin
die Gedanken derselben ausführte und verbesserte. Dieses tugendhafte
Mädchen, welches zugleich in dem Hause des Pfarrers Oberlin zuerst
als Magd, dann als Haushälterin seine jüngeren Kinder erzog und
ohne alle Belohnung sich allen Diensten unterzog, bald die Kleinen
beaufsichtigte, bald Kranke besuchte, Arme unterstützte und in alle
seine menschenfreundlichen Plane einging, und darum von ihm als
Tochter angenommen wurde, hieß Luise Schepler, und ist eins der
schönsten Beispiele weiblicher Vortrefflichkeit. Auch wurden ihre Ver-
dienste, so wie die ihres Pflegvaters um das Steinthal nicht bloß von
der Gemeinde selbst, sondern zuletzt auch von der französischen Regie-
rung anerkannt. Luise Schepler erhielt einen Preis von 5000 Franken,
die ein edler Mann in Paris für diejenigen ausgesetzt hatte, welche
sich um das Wohl der Menschheit am meisten verdient machten. Sie
bestimmte dies Kapital ihrer Kleinkinderschule und behauptete, der
Ruhm gebühre nicht ihr, sondern der verstorbenen Pfarrerin. Der
alte Oberlin erhielr einen Orden und wurde in den Stand gesetzt,
sein wohlthätiges Leben fortzusetzen, ohne solche Entbehrungen wie
früher zu leiden. Die schönste Anerkennung aber fand er bei seinem
Tod im Jahr 1826. Nicht bloß seine Pfarrkinder von dem ältesten
bis zum jüngsten begleiteten mit Thränen die Leiche des Vaters
Oberlin, sondern auch eine ungeheure Zahl seiner Verehrer ans der
Umgegend. Und zwar machte das Glaubensbekenntniß dabei keinen
Unterschied. Katholische Frauen, in Trauer gekleidet, knieeten rings
um den Begräbnißplatz in stillem Gebete, und mehrere katholische
Geistliche saßen in ihrer Kirchenkleidung unter den protestantischen in
der Kirche. Und damit sein Werk nicht untergehe, wurden Beiträge
zu einer Stiftung, die Oberlins Namen führt, gesammelt.