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1. Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs - S. 452

1860 - Stuttgart : Hallberger
452 Schon früh hatte er die Nachtheile bemerkt, welche die jüngeren Kinder leiden, während die älteren die Schule besuchen, die Eltern aber ihren Berufsarbeiten nachgehen. Nicht bloß Gefahren für Leben und Gesundheit sind die unbeaufsichtigten Kleinen ausgesetzt, sondern ihr Geist kann sich in der Einsamkeit nicht entwickeln, deßhalb bleiben sie zurück. Oberlin machte seine Frau auf dieses Uebel aufmerksam, und diese, welche eben so menschenfreundlich dachte, als ihr Gatte, bestellte Aufseherinnen, welche die Kinder von zwei bis sechs Jahren um sich sammelten und dieselben mit Spiel und kleinen Arbeiten be- schäftigten. Unter diesen Aufseherinnen befand sich ein junges Bauern- mädchen, welches als die eigentliche Begründerin der Bewahranstalten zu betrachten ist, weil sie nach dem bald erfolgten Tode der Pfarrerin die Gedanken derselben ausführte und verbesserte. Dieses tugendhafte Mädchen, welches zugleich in dem Hause des Pfarrers Oberlin zuerst als Magd, dann als Haushälterin seine jüngeren Kinder erzog und ohne alle Belohnung sich allen Diensten unterzog, bald die Kleinen beaufsichtigte, bald Kranke besuchte, Arme unterstützte und in alle seine menschenfreundlichen Plane einging, und darum von ihm als Tochter angenommen wurde, hieß Luise Schepler, und ist eins der schönsten Beispiele weiblicher Vortrefflichkeit. Auch wurden ihre Ver- dienste, so wie die ihres Pflegvaters um das Steinthal nicht bloß von der Gemeinde selbst, sondern zuletzt auch von der französischen Regie- rung anerkannt. Luise Schepler erhielt einen Preis von 5000 Franken, die ein edler Mann in Paris für diejenigen ausgesetzt hatte, welche sich um das Wohl der Menschheit am meisten verdient machten. Sie bestimmte dies Kapital ihrer Kleinkinderschule und behauptete, der Ruhm gebühre nicht ihr, sondern der verstorbenen Pfarrerin. Der alte Oberlin erhielr einen Orden und wurde in den Stand gesetzt, sein wohlthätiges Leben fortzusetzen, ohne solche Entbehrungen wie früher zu leiden. Die schönste Anerkennung aber fand er bei seinem Tod im Jahr 1826. Nicht bloß seine Pfarrkinder von dem ältesten bis zum jüngsten begleiteten mit Thränen die Leiche des Vaters Oberlin, sondern auch eine ungeheure Zahl seiner Verehrer ans der Umgegend. Und zwar machte das Glaubensbekenntniß dabei keinen Unterschied. Katholische Frauen, in Trauer gekleidet, knieeten rings um den Begräbnißplatz in stillem Gebete, und mehrere katholische Geistliche saßen in ihrer Kirchenkleidung unter den protestantischen in der Kirche. Und damit sein Werk nicht untergehe, wurden Beiträge zu einer Stiftung, die Oberlins Namen führt, gesammelt.
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