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1. Deutsches Lesebuch für die oberen Abtheilungen ein- und mehrklassiger Elementarschulen in der Stadt und auf dem Lande - S. 82

1853 - Frankfurt : Trowitzsch
82 Erfahrung hält freilich eine theure Schule; es ist aber die ein- zige, in welcher Thoren Etwas lernen. Denn einen guten Rath kann man wohl geben, aber nicht eine gute Aufführung. Wer sieh nicht rathen lässt, dem ist auch nicht zu helfen. Und: Wer nicht hören will, der muss fühlen. — 118. Knnnitvcrstaii. Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, Betrachtungen über den Unbe- stand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden mit seinem Schikksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem seltsamsten Umwege kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrthum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntniss. Denn als er in diese grosse und reiche Handelsstadt, voll präch- tiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein grosses und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis Amsterdam noch keines erlebt hatte. Dange betrachtete er mit Verwunderung dieses kostbare Gebäude. Endlich konnte er sich nicht enthalten, einen Vorübergehenden anzureden. „Guter Freund,“ redete er ihn an, „könnt ihr mir nicht sagen, wie der Herr heisst, dem dies wunderschöne Haus gehört?“ — Der Mann aber, der vermuthlich etwas Wichtigeres zu thun hatte und zum Unglükk gerade so viel von der «leutscheu Sprache verstand, als der Fragende von der holländischen, nämlich Nichts, sagte kurz und schnauzig: „Kannitverstan;“ und schnurrte vorüber. Diess war ein holländisches Wort, oder drei, wenn man’s recht betrachtet, und heisst auf deutsch so viel, als: ich kann euch nicht verstehen. Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan, dachte er, und ging weiter. Guss aus, Gass ein, kam er endlich an den Meerbusen, der da heisst: Ilet Ey, oder auf deutsch: das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff, und Mastbaum an Mastbaum; und er wusste anfänglich nicht, wie er cs mit Seinen zwei eigenen Augen durehsechten sollte, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und /.u betrachten; bis endlich ein grosses Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor Kurzem aus Ostindien angelangt war und jetzt eben aus- geladen wurde. Schon standen Reihen von Kisten und Ballen auf- und neben- einander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fässer voll Zukker und Kaffee, voll Rciss und Ffeffor. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich Einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glükkliche Mann heisse, dem das Meer alle diese Waaren an das Land bringe. „Kannitverstan,“ war die Antwort. Da dachte er: Haha, schaut’s da heraus? Kein Wunder! Wem das Meer solche Reichthümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen. Jetzt ging er wieder zuriikk und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer Mensch sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: wenn ich’s doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat, — kam er um eine Ekkc und erblikktc einen grossen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüssten, dass sie einen Todten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Be- kannten des Verstorbenen folgte nach, Paar an Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glökklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmüthiges Gefühl, das an keinem guten Menschen
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