1850 -
Leipzig
: Wöller
- Autor: Winter, Georg Andreas
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Stadtschule, Landschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Landschule, Stadtschule
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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trachtet. Jetzt kam er wieder, aber in Begleitung von einem halben
Dutzend Häschern. Ohne viel Federlesens wurde Franz und sein Kamerad
festgenommen und ihnen ftei Logis (sprich: Loschie) angewiesen.
„Was werden sie in Fürfeld dazu sagen," dachte Franz wieder, und
jetzt war er froh, daß man dort nicht alles von seinen Schicksalen
erfuhr, so gern er das auch vormals gewünscht hatte. Mit gutem
Gewissen in der Brust, schlief Franz ruhig ein. Wie erstaunte er
aber am andern Morgen, als er im Verhöre vernahm, daß er wegen
seiner Stiefel, die er geraubt habe, angeklagt sei. Franz behauptete
nachdrücklich, er habe darum gebetet und habe sie direct vom Himmel
bekommen. Da nahm der Engländer — denn niemand anders, als
dieser, hatte die Beiden verhaften lassen — ein Messer, schnitt die
Doppelsohlen an den Stiefeln entzwei, zog eine Menge Banknoten,
die viele tausend Gulden zu bedeuten hatten, heraus und sagte: „Diese
habe ich darin verborgen, um mich vor den Räubern zu sichern."
Jetzt gingen Franz die Augen auf, und er dachte daran, was ihm der
Bandit gestern gesagt hatte. Er zitterte wie Espenlaub, und der
Richter sah das für ein Zeichen der Schuld an. Franz aber über-
legte, ob er den Banditen verrathen dürfe. Er sah fast keinen andern
Ausweg. Da kam der Gefängnißwärter und brachte einen Ring,
den der Bandit aus seinem Fenster geworfen hatte. Der Engländer
erkannte ihn als sein Eigenthum, und nun war die Schuld des An-
dern gewiß. Der Bandit gestand auch, da er überführt war, die
Geschichte mit den Stiefeln ein, und Franz konnte frei und barfuß
davon ziehen. Jetzt dachte er wieder an's Arbeiten, und ging nach
dem Strande. Dort traf er auch den Engländer, der sich in ein Ge-
spräch mit Franz einließ und Wohlgefallen an ihm zu finden schien.
Der Engländer war ein höherer Offizier der Flotte, und versprach
Franzen, ihm zu seinem Glücke zu verhelfen, wenn er tüchtig arbei-
ten könne.
Nun lernte Franz alle Seilerarbeit für die Schiffe machen, und
als der Engländer zurück reiste, nahm er ihn mit.
Durch Fleiß und Geschicklichkeit ward Franz in England mit der
Zeit ein angesehener Mann, der Hunderte von Seilern beschäftigte.
Ost, wenn er so sein Wesen übersah, dachte er: „Was würden sie
in Fürfeld dazu sagen," und er nahm sich vor, wenn er hundert-
tausend Gulden hätte, zurück zu kehren. Wie das aber so geht, als
er die Hunderttausend hatte, wollte er nur noch dieses und jenes
Geschäft machen, und so wurde er ein alter Mann mit grauen Haa-
ren, der an sein Testament dachte.
Wie erstaunten eines Tages die Fürfelder, als ein schwarzer Wa-
gen mit schwarzbehangenen Pferden und in Trauer gekleideten Be-
dienten in das Dorf kam, und die Leiche des Franz brachte, der hier