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- S. 71
1856 -
Breslau
: Leuckart
- Autor: Rendschmidt, Felix
- Hrsg.: Kühn, Franz
- Auflagennummer (WdK): 211
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Stadtschule, Landschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
Heinrich der Vierte. 71
Aemter, von denen sie nichts verstanden und die sie nur als reiche
Erwerbsquelle ansahen.
Umsonst hatten sich bisher die Päpste ins Mittel gelegt.
Jetzt, als das Uebel den höchsten Grad erreicht hatte, saß auf dem
päpstlichen Stuhle Gregor Vh., ein Mann von großer Umsicht
und eiserner Festigkeit. Mit tiefer Betrübniß sah er die Gebrechen
der Zeit, und um von Grund aus zu helfen, sprach er den Fürsten
das Recht ab, geistliche Aemter zu vergeben, ja auch die weltlichen
Aemter sollten Geistliche nur aus den Händen des Papstes em-
pfangen. Dem Papste sollten Kaiser, Könige und Fürsten mit
all ihrer Macht untergeben sein — wie das Kreuz sinnbildlich über
dem Reichsapfel steht, der die Erde vorstellt, so sollte die kirchliche
Macht über der weltlichen stehen.
Da der Kaiser den Ermahnungen des Papstes, die Verlei-
hung kirchlicher Aemter zu unterlassen, nicht Gehör schenkte, so
entstand eine unselige Spaltung in Deutschland und Italien. Zwei
große Parteien bildeten sich: die eine hielt es mit dem Könige, die
andere mit dem Papste. Letztere gewann starken Zuwachs durch
die Sachsen, denen sich alle übrigen Mißvergnügten anschlossen.
Heinrichs Ansehn war dahin; kein Vasall erschien ihm zur Hilfe,
ja die deutschen Fürsten drohten einen andern König zu wählen,
wenn Heinrich sich nicht binnen Jahresfrist vom Banne löste, der
über ihn ausgesprochen worden war. Da zog der Unglückliche
als Büßender über die Alpen im Winter 1077. Selbst da noch
bereitete man ihm viele Hindernisse; er mußte große Umwege
machen, um denen zu entgehen, welchen eine Aussöhnung nicht
willkommen war. Kaum dem Gemsjäger bekannte, fast ungang-
bare Pfade stieg er mit den Seinen mühsam hinab; die größte
Eile war nöthig und der Hindernisse so viele. Endlich war der
Gipfel erreicht, aber die Gefahr nicht verringert. Die Wege wa-
ren abschüssig und glatt; die Männer krochen auf Händen und
Füßen, die Frauen wurden in Schläuchen von Ochsenhäuten an
Seilen hinabgelassen, den Pferden band man die Beine zusammen
und ließ sie heruntergleiten. Alles das ertrug Heinrich im Gefühl
seiner Schuld. Aber kaum hatte er Verzeihung erhalten, kaum
war er vom Banne erlöst, so vergaß der Leichtsinnige sein Ver-
sprechen und erbitterte alle Gemüther wiederum. Die deutschen
Fürsten wählten nun wirklich Rudolph von Schwaben zum Könige
und es kam zum Kampfe. — Rudolph erlag, und Heinrich, durch
sein Glück übermüthig geworden, zog mit Heeresmacht nach Ita-
lien gegen den Papst. Wieder wurde er in Bann gethan; der
Papst Gregor starb, aber Heinrich kam nicht zur Ruhe. Zwar
überwand er noch einen Gegenkönig, Hermann von Luxemburg,
auch die Sachsen wurden des Kampfes müde; aber sein eigner