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- S. 115
1856 -
Breslau
: Leuckart
- Autor: Rendschmidt, Felix
- Hrsg.: Kühn, Franz
- Auflagennummer (WdK): 211
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Stadtschule, Landschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
Kirchentrennung. Luther.
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ming, sonst auch Reformation genannt, wurde hauptsächlich
durch den Mißbrauch, welchen Unbesonnene mit dem Ablasse trie-
den, veranlaßt.
In den ersten Zeiten pflegte die Kirche die gröbern Uebertre-
tungen der göttlichen Gebote streng zu bestrafen. Für öffentliche
Sünden wurden auch öffentliche Bußwerke auferlegt. Die Theil-
nahme am Gottesdienste war den Büßenden versagt, nur am
Eingänge des Gotteshauses durften sie im demüthigen Bußkleide
stehen. Eine solche Bußübung währte oft mehrere Jahre hindurch,
wurde aber auch zuweilen durch den Ablaß der Bischöfe gemildert.
Sie kürzten die durch Kirchengesetze bestimmte Büßung entwe-
der ab, oder verwandelten sie in Uebungen guter Werke. So
bot der Papst Urban Ii. allen Kreuzfahrern vollkommenen Ablaß
an, das heißt er verordnete, daß Alle, die ihre Sünden mit reui-
gem Gemüthe beichteten und an den Kreuzzügen Theil nahmen,
wegen der Gefahren und Mühseligkeiten, denen sie sich im Dienste
der Kirche aussetzten, von den kirchlichen Strafen befreit sein soll-
ten, welchen sie sich sonst hätten unterwerfen müssen. Später
ward auf der Kirchenversammlung zu Lyon dieser Ablaß auch auf
solche ausgedehnt, die zu Hause blieben und den Kreuzzug durch
freiwillige Gaben an Geld unterstützten. Seit jener Zeit fingen
die Ablässe an häufig zu werden, und man ertheilte sie auch denen,
welche Beiträge zur Erbauung von Kirchen und Schulen leisteten.
* So geschah es auch kurz vor der Kirchenlrennung. Leo X.,
der 1513 zum Oberhaupte der katholischen Kirche gewählt worden
war, faßte bald nach dem Antritte seines oberhirtlichen Amtes den
Entschluß: das Denkmal des Apostelfürsten, die Peterskirche zu
Rom, zu vollenden, zu der sein Borgänger Julius Ii. den Grund
gelegt hatte. Dieser Dom sollte ein Bau der ganzen Christenheit,
der Nationen und Völker werden; Alle sollten dazu nach Kräften
beitragen, wie ja Alle Glieder der einigen heiligen Kirche sind.
Das Mittel hierzu war der Ablaß; denn nur auf diese Weise
konnte Jeder ohne Rücksicht auf Stand und Geschlecht, vom schwa-
chen Kinde bis zum gebückten Greise, der Reiche wie der Bettler
sich am Baue betheiligen — die Einen mit irdischen Gaben, die
Andern mit Gebeten — und während sie Gott einen christlichen
Völkerdom errichteten, erbauten sie sich selbst zu erneueten Tempeln
des heiligen Geistes.
Ein so erhabenes Ziel zu erreichen, schrieb der Papst Leo X.
einen Ablaß im Jahre 1515 aus und übertrug die Ausführung
desselben im nördlichen Deutschland dem Erzbischöfe von Mainz,
Albrecht, einem gebornen Markgrafen von Brandenburg. Dieser
bestimmte den Dominikanermönch Johann Tetzel, den Ablaß zu
verkündigen.
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