1861 -
Trier
: Leistenschneider [u.a.]
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Elementarschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Katholische Elementarschule
- Regionen (OPAC): Trier
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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11. Des frommen Meinrads Naben.
Eines Tages klopften zwei Wanderer im Pilgerkleide an
der Thüre der Zelle, welche der heilige Eremit Meinrad
von Einsiedeln schon seit Jahren bewohnte, und flehten um
Speise und Obdach. Voll Bruderliebe öffnete der heilige Ein-
siedler die Thüre, ließ die Bittenden ein und schickte fick) also-
bald an, eine kräftige Mahlzeit zu bereiten. Während Meinrad
im Dienste der Nächstenliebe sich emsig beschäftigte, schlichen die
verdächtigen Gäste, die nun allein in der Zelle waren, nach
dem Fensterlein und warfen scheu und raublüstern ihre scharfen
Blicke durch die offenstehende Pforte des Krrchleins, woraus
im Widerscheine der Sonnenstrahlen eine silberne Lampe, die
vor dem Altare hing, ihren Glanz der glatten Felsenwand mit-
theilte. Sogleich sannen die Gottlosen auf Arges und beschlossen,
dieses Kleinods sich auf jede mögliche Weise zu bemächtigen. —
Da kam Ateinrad zurück, und brachte mit der freundlichsten
Güte, die je die zufriedenen Züge eines Greisengesichts verklärte,
einige Spersen herbei, die er in aller Eile für die dürftigen
und müden Gäste hatte zurichten können. Lächelnd ermunterte
er sie, nach Herzenslust von dem zu nehmen, was er zu geben
im Stande sei, und ging darauf (es nahete die Zeit zur Ves-
perandacht) in die Kapelle, um sein Gebet am Altare, wie es
ihm heilige Gewohnheit war, zu verrichten. Hohnlachend sahen
die vermummten Pilger dein Frommen nach, und wie er ein-
getreten war, in das'kirchlein, und sie ihn knieen sahen an den
Stufen, warfen sie die falschen Kleider von sich, schwangen in
größter Freude die eisernen Keulen, die sie bisher unter dem
Brustgürtel verborgen hatten, und schlichen mit der Blutgier
heimtückischer Hyänen auf leisen Füßen und fast ohne Athem
hinein in die feierliche Stille des Heiligthums. Das ehrwürdige
Greisenhaupt mit den langen Silberlocken richtete gerade den
frommen Blick nach dem schönen Bilde, von dem die himmlische
Jungfrau und das göttliche Knäblein auf ihrem zarten Schooße
zu ihm niederschauten — da zischte hinter ihm pfeilschnell ein
Streich schauerlich durch die Luft und traf mit Zentnerschwere
den Scheitel; noch einer — und der Greis lag entseelt an den
Stufen des Altares. In Strömen floß das Blut aus den
zerquetschten Adern und suchte sich ein Rinnsal durch die Mitte
des Bodens bis vor die Pforte der Kapelle. — Die Mörder
lösten eilig die silberne Lampe von der Schnur und rannten
in schrecklicher Gewissensangst, als wollten sie der gerechten
Strafe des Himmels entfliehen, aus dem Kirchlein über Stock
und Stein, um in den tiefen Wald sich zu retten. Aber kaum
waren sie im Freien, so vernahmen sie ein gräßliches Geschrei