1861 -
Trier
: Leistenschneider [u.a.]
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Elementarschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Katholische Elementarschule
- Regionen (OPAC): Trier
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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aber seine Gehilfen zur Rede. Da schob ein Jeder die Schuld
auf den Andern; endlich suchten sich Alle durch einen ans den
Küchenknaben, Karl Dickopp, geworfenen Berdacht.zu entle-
digen, der das Kind armer aber redlicher Fischerslente in der
Vorstadt St. Medardus war. Da alle den Knaben bezüchtigten,
ward er unschuldigerweis zum Dieb gemacht. Zwar achteten die
wackern Eltern ihren Sohn kaum fähig solcher Unthat; als
aber von allen Seiten sich so viele Stimmen gegen ihn erhoben,
glaubten endlich auch die Eltern, schlugen den Knaben, der auch
sonsten allenthalben geschmäht und beschimpft ward. Da ward
die Verzweiflung seiner Meister, und Karl ging, ein zarter Bursch
von fünfzehn Jahren, eines Tages auf und davon.
Dickopp gelangte endlich nach mancherlei Drangsalen in
die Kaiserstadt Wien, wo er einen wohlhabenden Verwandten
hatte. Dem erzählte er sein Unglück unter vielen Thränen.
Der Verwandte glaubte seinem freimüthigen Wesen, und nahm
sich des Burschen an, den auch viele vornehme Herren, die sein
Schicksal erfuhren, liebgewannen. Er lag mit großem Fleiß dem
Studiren ob, und ward ein feiner, hochgelehrter Mann. Da
warf der reiche Graf von Schwarzenberg sein Aug' auf
ihn und bestellte ihn zum Obersten seines Hauses, hatte ihn
auch dermaßen lieb, daß er ihn bei seinem Verscheiden zum
Erben aller seiner Güter einsetzte. Kaiser Ferdinand*) er-
hob den weiland armen verfolgten Küchenknaben in den Adel-
stand, und benannte ihn in dem Adelsbriefe: Karl Eucharius
Medardinus von Rottenfelt, bestellte ihm auch zum K.
Geheimrath.
Sechzig Jahre, nachdem Dickopp seiner Heimath Va-
let gesagt, ergriff den hochbetagten Mann die Begier nach sei-
ner Wiege im Moselthal; er machte sich auf, und kam nach
Trier; begab sich mit ansehnlichem Gefolg in die Abtei St.
Matthias. Des andern Tags bei der Tafel, wo mehrere fremde
Gäste anwesend, begann der Fremdling und unbekannte Gast,
sich nach der Geschichte des armen Küchenknaben, Karl Dickopp,
zu erkundigen. Da war Keiner, der ihm Antwort gab; dem
Abt und den Konventualen war die Sache wie eine Traumge-
schichte. Endlich trat ein 86jähriger Greis des Klosters hervor
und erzählte den ganzen Hergang mit thränenden Augen, auch
wie der silberne Löffel sich einige Tage nach des Knaben Flucht
im Spülfaß wiedergefunden, wie allgemeine Trauer darum im
Kloster gewesen, und des Knaben Eltern vor Gram gestorben.
*) Ferdinand Iii. von 1637 bis 2. April 1657.