1863 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Bender, Ludwig, Haesters, Albert
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Früchte bringen, wie sie! Müßtet ihr euch nicht sonst vor diesen
Bäumchen schämen?" —
Die Knaben sahen den Vater mit glänzenden Blicken an und sagten r
„Gewiß, wir wollen dir Freude machen, wie sie!"
„Wohlan," erwiederte der Vater, „so sei es; werdet mit jedem
Jahre weiser und besser!"
§. 3. Als der Winter verstrichen war, drückte der Vater die Kinder
an sein Herz und reiste in Handelsgeschäften nach fremden Ländern.
Der schöne und fruchttreibende Sommer kam wieder, aber der Vater
war noch nicht da, und die Kinder gingen, von ihm sprechend, an der
Hand der Mutter im Garten spazieren. Sie standen endlich vor einem
Spaliere, an welches der Vater viel herrliche Bäumchen gepflanzt hatte,
die jetzt ihre ersten Früchte trugen.
§. 4. Als sie noch standen und sich des schönen Anblicks freuten,
kam ein Bote und brachte ein versiegeltes Schreiben. Hastig griff die
Mutter darnach und ries erfreut: „Kinder, es ist die Hand des Vaters;
hört, was er schreibt!"
Und der Vater hatte geschrieben, daß er noch gesund sei, auch
bald kommen werde und wünsche, alle seine Lieben gesund wieder zu sehen.
Endlich befahl er den Kindern artig zu sein, und besonders die Früchte
der Bäumchen, vor denen sie zufällig gerade standen, unberührt zu
lassen, damit er später sehen könne, von welcher Art sie sein möchten. Die
Knaben versprachen der Mutter, dem Gebote des Vaters Folge zu leisten.
§. 5. Da kam aber einst der Sohn des Nachbars, ein böser Bube,
und beredete Wilhelm also, daß sie in den Garten gingen und voll
Naschbegier die Bäumchen allzumal ihrer noch nicht völlig gereiften
Früchte beraubten. Aber als die That geschehen war, da sah Wilhelm
erst ein, wie sehr er gesündigt, weinte und wünschte sie nicht vollbracht
zu haben. — Der Sommer ging zu Ende, und der Vater kehrte wieder.
Die ganze Familie freute sich; Wilhelm aber ging ihm schüchtern ent-
gegen und schlug das Auge zu Boden, denn seine Sünde lastete auf
ihm. Er konnte dem Vater nicht froh ins Angesicht sehen.
§. 6. Und als der Heimgekehrte am andern Tage auspackte und
jeglichem seiner Kinder ein mitgebrachtes Geschenk gab, da jauchzten
alle, nur Wilhelm sah vor sich nieder und weinte; alle waren fröh-
licher, als er. Der Vater aber fragte: Wilhelm, warum weinest du?
Und der Knabe antwortete: Ach, mein Vater, ich bin deiner Liebe nicht
werth, ich bin ungehorsam gegen dein Gebot gewesen; denn siehe, ich
habe doch deinen Bäumchen die Früchte geraubt! Deine Reue versöhnt
mich, sagte der Vater und hob den Sohn ans Herz; ich verzeihe dir,
aber folge mir in den Garten!
§. 7. Und er führte den Knaben zu jenen Bäumchen, welche er
an den Geburtstagen seiner Kinder gepflanzt hatte. Siehe, da war
das eine größer geworden, hatte einen stärkern Stamm, denn das an-
dere, und hing wieder voll schöner Früchte. ^Das andere aber, das
Wilhelm gehörte, war klein geblieben, verwachsen und stand kahl und