1863 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Bender, Ludwig, Haesters, Albert
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Evangelische Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
490
Steht gebaut aus schnce'gem Glanz,
Zum Beweis dem ungläubigen Kinde.
Da muß es der Mutter nun sagen der
Knabe,
Er weckt sie vom Schlaf mit der Kunde.
Da hört er die Reiter, sie ziehen im
Trabe,
Und möchte sie sehen zur Stunde.
Doch zur Straf' cs ihm geschieht,
Daß er nicht die Reiter sieht;
Denn die Mauer, sie steht in der Runde.
Da macht es die Mutter zur Strafe
dem Knaben,
Den Weg durch die Mauer zu brechen.
Da muß er nun schaufeln, da muß er
nun graben;
Und als er mit Hauen und Stechen
Durch ist, sind die Reiter fort,
Und die Nachbarn stehn am Ort,
Die sich über das Wunder besprechen.
(Fr. Rückert.)
L3. Die Posaune des Gerichts.
Gerade dort, wo die Gemarkungen zweier Dörfer sich scheiden,
mitten im Walde, wurde in der Frühlingsnacht zur Zeit des Voll-
mondes eine schreckliche That vollbracht. Ein Mann kniete auf einem
andern, der leblos dalag. Eine Wolke verhüllte das Antlitz des
Mondes; die Nachtigall hielt inne mit ihrem schmetternden Gesänge,
als der Knieende den Dahingestreckten aussuchte,' und Alles, was er
fand, zu sich steckte. Jetzt nahm er ihn auf die Schulter und wollte
ihn an den Strom, der ferner rauschte, hinabtragen, um ihn dort zu
versenken. Plötzlich ^blieb er stehen, keuchend unter der todten Last.
Der Mond war herausgetreten und warf sein sanftes Licht durch die
Stämme, und es war, als ob aus den Strahlen des Mondes die
Töne eines herzzerreißenden Liedes getragen würden. Ganz nahe blies
ein Posthorn die Weise des Liedes: „Denkst du daran?" Dem Tra-
genden war's, wie wenn die Leiche auf seinem Rücken lebendig würde
und ihn erwürge. Schnell warf er die Last ab und sprang davon,
immer weiter und weiter. Endlich am Strome blieb er stehen und
lauschte hin; Alles war still, und nur die Wellen flössen schnell dahin,
als eilten sie fort von dem Mörder. Dieser ärgerte sich jetzt, daß er
die Spuren seiner That nicht vertilgt habe und sich von sonderbarer
Furcht forttreiben ließ. Er eilte nun zurück, wandelte hin und her,
bergauf und bergab, der Schweiß rann ihm von der Stirn; es war
ihm, als ob er Blei in allen Gliedern hätte. Mancher Nachtvogel flog
auf, wenn er so durchs Dickicht drang, aber nirgends fand er das
Gesuchte. Er hielt an, um sich zurecht zu finden, um sich die Gegend
genauer zu vergegenwärtigen; aber kaum war er drei Schritte gegangen,
so war er in der Irre. Alles flimmerte vor seinen Augen, und es war
ihm, wie wenn die Bäume auf- und niederwandelten und ihm den Weg
verstellten. Der Morgen brach endlich an; die Vögel schwangen sich
auf und sangen ihre hellen Lieder, vom Thale und aus den Bergen
hörte man Peitschen knallen. — Der Mörder machte sich eiligst davon.
Die Leiche wurde gesunden und nach dem Dorfe gebracht, in des-
sen Gemarkung sie lag. An der rechten Schläfe trug der entseelte
Körper Spuren eines Schlages, wie von einem scharfen Steine. Kein
Wanderbuch, kein Kennzeichen war zu finden, aus dem man die Her-
kunft des Entseelten entnehmen konnte. Auf dem Kirchhofe, der neben
der Kirche hoch oben auf-dem Hügel liegt, an dessen Fuß die Land-