1867 -
Altona
: Hammerich
- Autor: Harder, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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Auf den ersten Blick unterscheiden sich beide Thiere auffallend durch ihre
Größe, denn wahrend der Hirsch eine Länge von 7 — 8 und eine Höhe von
3 — 4 Fuß erreicht, ist das Reh nur 4 Fuß lang und reichlich 2 Fuß hoch.
In der Behaarung gleichen sie sich fast; beide sind rothbraun, der Hirsch im
Winter röthlichbraun, das Reh graubraun. Das Rehhaar ist überdies brüchig
und sehr elastisch, und aus letzterm Grunde vorzüglich geeignet zu Fußdecken
und Zum Unterlegen für lange liegende Kranke.
Gemeinsam ist ferner den Männchen beider Thierarten das sprossige,
solide und abwerfbare Geweihe. Der Hirsch wirft sein Geweihe im Februar
(daher Hornung genannt), bis auf einen Knochenzapfen (Rosenstock) ab;
es bildet sich dann ein neues, anfänglich weiches Gehörn, das mit behaarter
Haut überzogen ist, die im Juli abgestreift wird. Der knotige Wulst un-
mittelbar am Rosenstock, heißt die Rose, die einzelnen Ausläufer der zurück-
gebogenen Stange heißen Sprossen (Augen-, Mittel- und Gabelsprvssen).
Die Zahl der Sprossen beläuft sich in der Regel auf 12—18. Friedrich Í.
von Preußen schoß einen Hirsch mit 66 Enden.) Nach der Zahl der Enden
werden die männlichen Hirsche benannt. Spießer (Ijährig), Gabler (Ljährig),
12--Ender u. s. w. Die weiblichen Hirsche heißen Hirschkuh und in der Jugend
Hindin. — Das aus ähnlichen Theilen bestehende Gehörn des Rehes ist nur
Zsprossig, steht aufrecht, wird im Spätherbst abgeworfen und im Winter er-
setzt. Ein weiteres Unterscheidungszeichen besitzt der Hirsch in den Thränen-
gruben unter den Augen, in denen sich eine glänzende, gelblichbraune Masse
(Hirschbczoar oder Hirschthränen) sammelt. Auch durch seinen freilich nicht
einmal fingerlangen Schwanz (Blume) unterscheidet sich der Hirsch vom
Rehe, dem der Schwanz fast ganz fehlt.
Hirsche und Rehe nährenzich von Kräutern, Baumknospen, Getreide
und auch von Schwämmen, sie richten daher oft beträchtlichen Schaden an
und sind bei denen, welche den Ertrag der Felder und Wälder höher schätzen,
als den malerischen Anblick einer einsamen Waldwiese mit äsendem Wilde,
und als das oft dazu verbotene Vergnügen der Jagd, oder als einen Braten,
durchaus nicht beliebt. Die Jagd auf Rehe und Hirsche gehört zu den höher»
Genüssen des Waidmanns. Die Thiere werden jetzt auf dem Anstande oder
auf Treibjagden mittels Pulver und Bleikugeln (Rehposten) erlegt, und es
ist diese Tödtung viel menschlicher, als die früher bei adeligen und fürstlichen
Personen beliebte rohe Art, welche die Hetz- oder Parforce-Jagden mit sich
brachten. Erfahrene Waidmänner wissen viel Interessantes zu erzählen von
der Lebensweise dieser Thiere: von ihren zierlichen und in der Gefahr kühnen
Sprüngen, von ihrem aufmerksamen Auge und scharfen Ohre, von der An-
lockung durch nachgeahmte Stimmen und Lockspeisen u. s. w. Hirsch und Reh
nützen durch ihr wohlschmeckendes und gesundes Fleisch (Wildpret), durch ihr
Fell (Handschuhe, Beinkleider, Fußdecken u. s. w.), durch ihr Haar (Pol-
ster u. s. w.), durch ihr Gehörn (Drechslerarbeiten, Gelee von geraspeltem
Hirschhorn) und endlich der Hirsch noch besonders durch seinen Talg (Heil-
mittel) und sein Gehörn, aus welchem das bekannte Hirschhornsalz und Hirsch-
hornöl gewonnen wird.
Das Rennthier ist auch eine Art Hirsch. Es lebt im hohen Norden
der alten und neuen Welt heerdenweise wild und als Hausthier. In der
Größe steht cs zwischen Hirsch und Reh, da es eine Länge von 6| und
eine Höhe von Fuß erreicht. Im Bau ähnelt es dem Hirsche, ist indessen
nicht so schlank und trägt den Kopf mehr wagerecht. Das dichte Haar ist