1865 -
Göttingen
: Deuerlich
- Autor: Jastram, Heinrich
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Wohl wachte, der Botschaften empfing aus allen Theilen seines großen
Reiches und gewaltige Kriege führte, der ließ sich auf seinen Gütern die
Rechnungen vorlegen, worin alles bis auf die Anzahl der Eier eingetra-
gen ftm mußte. Dann überzählte er Einnahme und Ausgabe, rechnete
seinen Verwaltern nach und machte Bauanschläge, als wäre er nichts als
ein Landmann. Darum nannten ihn seine Zeitgenossen auch den Gro-
ßen. Den Gipfel menschlicher Größe erstieg er im Jahre 800. Der
Papst in Rom hatte ihn zum Schutzherrn angenommen; denn er hatte
dort die gestörte Ordnung wieder hergestellt und den Papst in seiner
Würde befestigt. Dafür krönte ihn dieser am Weihnachtstage des Jah-
res 800 und begrüßte ihn als römischen Kaiser und Herrn aller Chri-
stenheit, und die Kirche widerhallte von dem freudigen Zuruf des Vol-
kes: »Leben und Sieg dem von Gort gekrönten, frommen, großen und
friedenbringenden Kaiser von Rom!" Das war der Ursprung und An-
fang des römischen Kaiserthums deutscher Nation, das 1000 Jahre be-
standen und auf die Geschicke vieler Völker eingewirkt hat. Karl aber
nannte sich von nun an einen Kaiser von Gottes Gnaden und achtete
sich für einen Schlrncherrn der Kirche und Vorsteher der Christenheit,
dem Gott das Amt gegeben, daß er in Kirche und Reich zum Rechten
sehe.
4. Er starb. 72 Jahre alt. Im vollen Kaiserschmucke, mit Krone
und Schwert, ein goldenes Evangelienbuch auf den Knieen, die goldene
Pilgertasche um die Hüften, wurde er, fitzend auf goldenem Stuhle, in
die Gruft der von ihm gestifteten Marienkirche zu Aachen hinabgelassen.
Stach seinem Tode aber lebte sein Stame in den Sagen und Liedern des
Volkes fort, und wollte man einen Kaiser am höchsten preisen, dann
sagte man: »Er hat gewaltet wie Karl der Große!"
131. Wittckilld.
Der Glaube und die Liebe sind stärker als das Schwert. Daö
hatte Karl der Große nicht bedacht, als er das tapfere Volk der Sachsen
unter seinen Scepter beugen und zur Annahme des christlichen Glaubens
zwingen wollte. Er erfocht über sie manchen blutigen Sieg, zerstörte
die große, von ihnen göttlich verehrte Jrmensäule — die unweit des
jetzigen Paderborn auf dem Hauptversammlungsplatze ihres heidnischen
Gottesdienstes stand und einen völlig bewaffneten Mann mit einer Fahne
in der rechten und einer Lanze in der linken Hand vorstellte — führte
ihre Edelsten als Geiseln hinweg, erbaute Festungen mitten in ihrem
Lande, gab ihnen Statthalter und Feldherrn auö seinem eigenen Volke
und ließ sie scharenweise mit Gewalt zur christlichen Taufe hintreiben.
Dennoch.aber konnte er ihren Glauben und ihre Liebe zu den alten heid-
nischen Göttern nicht bezwingen. Kaum war auch der erzwungene Frie-
den geschlossen und Karl zu neuen Siegen nach Italien geeilt, als die
Sachsen, durch ihre alten Priester bedroht, sich aufs neue empörten.
Sie warfen das verhaßte Joch des ihnen aufgedrungenen Christenglau-
bens ab, erschlugen die fränkischen Feldherren, fielen unter Anführung
Wittekinds, Herzogs von Engern, in die Länder des Frankenkönigö ein