1864 -
Mainz
: Kirchheim
- Autor: Kieffer, Franz Xaver
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Bereits sechs Jahre hatte Elisabeth mit ihrem Gemahl in ungetrübtem
Frieden gelebt, als Ludwig im Jahre 1227 die Aufforderung erhielt, mit sei-
nem Kriegsvolke dem Heere des Kaisers Friedrich sich anzuschließen und einen
Zug in's gelobte Land mitzumachen, um dort die heiligen Orte aus der Ge-
walt der Ungläubigen zu erobern. Schwer fiel dem edlen Paare die abermalige
Trennung; sie faßten sich aber als Christen und sagten: „So Gott will, wer-
den wir einander hier wiedersehen; sollte das aber nicht sein, so werden wir
in der ewigen Heimath einander finden. Noch kein Jahr indeß verging, als die
Trauernachricht einlief, der Landgraf sei todt. Ungewöhnlich war die Betrüb-
niß im ganzen Lande über diesen Todesfall, sehr groß aber der Schmerz der
heiligen Elisabeth. Doch ergab sie sich alsbald in den Willen Gottes und
hörte nicht auf, für die Seelenruhe ihres theuern Gatten zu beten.
Jetzt begann aber für sie eine Zeit bitterer Leiden. Weil ihr Sohn noch
minderjährig war, riß Heinrich, der Stiefbruder ihres verstorbenen Gemahls,
die Regierung an sich und vertrieb sie nebst ihren Kindern aus dem Lande.
Als ihr der grausame Befehl der Verbannung angekündigt wurde, fragte sie
schnell: „Und was geschieht mit meinen Kindern?" Sie erhielt keine Antwort.
Da weinte sie einige Augenblicke, erhob dann ihre Augen gegen Himmel und
sagte: „O, Gott, sei du Vater der Vaterlosen!" Als sie das Armenhaus zum
letzten Male sah, sprach sie: „Gott, erbarme du dich der Armen!" Auf Gott
in ihrem Elende vertrauend und zufrieden mit seinem Willen, zog die ver-
stoßene Landgräfin hin, und weil man ihr Nichts gelassen hatte, war sie ge-
nöthigt, den Unterhalt für sich und ihre Kinder zu erbetteln. Bei ihrer Base,
der Aebtissiu von Kitzingen, fand sie endlich freundliche Aufnahme. Diese setzte
auch sogleich den Bischof Eckbert von Bamberg, den Oheim der heiligen Elisa-
beth, von dem Vorgefallenen in Kenntniß, der, als ein Mann von großer
Klugheit und bedeutendem Ansehen, sogleich Alles aufbot, um derselben wie-
der zu ihrem Rechte zu verhelfen. Es gelang ihm auch endlich, den unrecht-
mäßigen Landgrafen auf andere Gesinnungen zu bringen, so daß er sich dazu
verstand, der heiligen Elisabeth und ihren Kindern zurückzugehen, was ihnen
von Rechtswegen gebührte. So kehrte denn die Heilige, mit Jubel von ihren
geliebten Unterthanen begrüßt, wieder in ihr Land zurück. Nachdem sie aber
für die Regierungs - Angelegenheiten Sorge getragen, verließ sie ihr Schloß,
zog nach Marburg, welches damals noch ein kleiner Flecken war, und führte
da wieder das einfache, stille, fromme und wohlthätige Leben, welches sie vor
ihrer Verehelichung geführt hatte. Sie stiftete daselbst ein Nonnenkloster mit
einer Capelle. Hier hielt sie sich fast beständig auf, um zu beten und die Armen
und Franken zu pflegen. „Hier," sagte sie, „soll gegenwärtig meine Arbeit
und einst meine Ruhe sein!" — Vor ihrem Ende nahm sie rührenden Abschied
von ihren Dienstleuten, ermahnte sie eindringlich und vermachte Alles, was sie
noch hatte, den Armen. Dann empfing sie mit großer Andacht die h. Sakra-
mente, ergoß ihr Herz in frommen Aussprüchen und entschlief sanft nach einem
vierzehntägigen Krankenlager. Sie starb den 19. November 1231, im 24.