1853 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Von Thieren, denen sie Nahrung und Aufenthalt gewährt, mögen hier
nur die ihren Stamm durchlöchernde Weidenraupe, die an ihren
Stielen und Blättern Galläpfel erzeugende Gallwespe und die sie
ihres ganzen Laubschmuckes beraubende Prozessionsraupe genannt
werden. Dem Menschen wird dieser Baum durch das vortreffliche Bau-
und Werkholz, das er liefert, durch die Gerberlohe, welche aus seiner
Rinde bereitet wird, durch die Mast, welche seine Früchte, die Eicheln,
den Schweinen gewähren und durch verschiedenes andere sehr nützlich.
Wem wäre es auch unbekannt, daß die Säure der Galläpfel, mit Eisen
zusammengesetzt, Dinte bildet? Doch auch im Walde erfreuen die
Massen des frischen, saftgrünen Laubes dieser Bäume im Frühling und
die dunklere Farbe desselben im Sommer das Auge des Naturfreun-
des; staunend sieht er oft an ihrem gewaltigen Stamm hin zur mäch-
tigen Krone empor, und gedenkt der Jahrhunderte, welche über sie da-
hin gezogen sind.
Als ein Sinnbild deutscher Kraft und deutschen Sieges
ist die Eiche oft von deutschen Dichtern gepriesen worden.
32. Gin Bild des Friedens ans dem deutschen
Walde.
Giebt es wohl eine lieblichere Sprache hienieden, als das Rauschen
der frischen Laubblätter eines schönen, deutschen Waldes? Wahrlich,
dem kecksten wanderlustigen Gesellen wird das Herz weich,, und er
zögert, weiter zu schreiten, wenn an' einem sonnigen Frühlingstage die
jungen, lichten Bäume, zitternd vor Wonne über die Gabe des erneuten
Lebens, mit einander reden, wenn alles ringsumher säuselt und lispelt.
Der Wanderer wirft sich dann ins Gras, daß die duftigen, grünen
Wellen über seinem Haupte zusammen schlagen, die herzigen Blumen
sich neigen, ihn auf die Wangen und Lippen zu küssen, — und schaut
lauschend in den grünen Blätterhiminel hinein, träuinend von seiner
Heimath, von dem Vater- und Mutterherzen, von den Gespielen der
Jugend. In traulichen Gesprächen neigt sich der stattliche Eichbaum
zur reizenden, zarten Birke, gar wichtige Dinge hat die schlanke
Buche der ernsten Ulme zu vertrauen, und dazwischen plaudert un-
aufhörlich die ruhelose Espe. Ein Leben, eine Seligkeit zieht durch
den ganzen Wald, wunderbar erfrischend für das Menschcnauge und er-
greifend für das Menschenherz.
Inmitten aller dieser üppigen Lust steht ein stummer, dunkler Baum,
der nicht reden kann und nicht mit Hellen Blättern spielt, — es ist
der Tannenbaum mit seinen spitzigen, kleinen Nadeln. Liebend brei-
tet er seine Arme aus; kein Neid lebt in seinem Herzen, und doch
schaut er so traurig darein: wie ein kummervoller Mensch zwischen
lachenden, spielenden Kindern, steht er zwischen den laubgeschmückten
Bäumen. Selten, daß ein Vogel auf der Reise durch den Wald kurze
Rast hält auf seinen Zweigen; versteckt er sich doch weit lieber in die