1853 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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suchte ich ihm ein sonniges, aber doch auch kühles Plätzchen aus, grub
eine Vertiefung und pflanzte mein armes Waislein hinein. Ich ver-
säumte nicht, es fleißig zu begießen, und siehe da, schon im Mai be-
kam es sieben schöne weiße Blüthen, welche gleich Sternen glänzten.
Meine Freude wurde aber noch vermehrt, als es endlich sogar sieben
Beeren trug, welche sich täglich mehr rötheten und jetzt wie Rubinen
glänzen. Ist es nicht, als ob das Pflänzchen mir für meine Sorg-
falt dankbar sein wollte? —
Willst Du es selbst sehen und meine Freude theilen, so besuche
nur bald
Deine
N. Marie Blumenreich.
70. Hanf und Flachs.
Diese beiden Gewächse, welche in Deutschland fast allenthalben an-
gebaut werden, verdanken ihre Verbreitung weder ihrer Blüthe, noch
ihren Früchten, sondern ihrem Stengel. Dieser enthält nämlich zähe
Fasern (Bast), welche, nachdem sie von den spröden, holzigen Schalen
befreit sind, biegsame Fäden geben, die sich spinnen lassen. Welchen
unendlichen Nutzen diese gewähren, kann sich jeder selbst aufzählen,
wenn er an die Waaren des Seilers, an die Fäden, von dem
Pechdrahte des Schusters bis zu dem Zwirn der Nätherin,
an die Leinwand von dem groben Packtuche bis zu dem feinsten
Battist denkt. Zwar hat man in neuerer Zeit die ausländische Baum-
wolle vielfach an die Stelle des Flachses gesetzt, aber das feinste und
dauerhafteste Gewebe bleibt immer die Leinwand. Der Hanf hat
den Vorzug größerer Festigkeit und Dauerhaftigkeit, aber Feinheit und
Schönheit bleibt auf der Seite der flächsenen (leinenen) Gespinnste.
Und wie viele Personen finden Arbeit und Verdienst bei der Behand-
lung dieser beiden Gewächse! Der Bauer, welcher pflügt und säet, die
Weiber, welche die Winterabende durch Spinnen und Haspeln kürzen,
im Herbste brechen, schwingen und hecheln, im Sommer das gefertigte
Tuch bleichen, die Weber, welche spulen, zetteln und weben, die Fär-
der, welche dem Garn oder der Leinwand eine andere Farbe geben:
alle haben ihren Vortheil von dem Anbau dieser Pflanzen, den Seiler
gar nicht gerechnet. Dazu kommt, daß Hanf und Flachs öligen Sa-
men bringen, welcher sich mannigfaltig benutzen läßt, der Hans mehr
als Futter für im Käfig gehaltene Vögel, der Lein aber zu Öl. Zwar
hat das L-inöl nicht den guten Geschmack des Mohnöls, des Nußöls
u. s. w., allein zu Firniß und Ölfarbe ist es unter allen das brauch-
barste. Und der Flachs trägt reichlich. Aus seinen blauen Blüthen
bilden sich erbsengroße Knoten, in deren Fächern die platten Leinkörn-
chen in Menge sitzen. Wenn die Sonne die Knoten gesprengt hat,
fallen die Körnchen meistens von selbst heraus, doch hilft man durch
Dreschen noch nach. Obgleich die Arbeit bei dem Bau und der Zu-