1853 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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2. Der geheilte Patient.
Reiche Leute haben, trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal
auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen Gottlob!
der arme Mann nichts weiß; denn es giebt Krankheiten, die nicht in
der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in
den weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener steinreiche Amster-
damer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er
im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder
hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch
wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: „Windet's
draußen, oder schnauft der Nachbar so?" — Den ganzen Nachmittag
aß und trank er ebenfalls bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes,
ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter langer Weile bis an den
Abend, also, daß man bei ihm nie recht sagen konnte, wo das Mit-
tagessen aufhörte und wo das Nachtessen ansing. Nach dem Nacht-
essen legte er sich ins Bett und war so müde, als wenn er den ganzen
Tag Steine abgeladen oder Holz gespalten hätte. Davon bekam er
zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen war wie ein Maltersack.
Essen und Schlaf wollten ihm nimmer schmecken, und er war lange
Zeit, wie es manchmal geht, nicht recht gesund und nicht recht krank;
wenn man ihn aber selber hörte, so hatte er 365 Krankheiten, näm-
lich alle Tage eine andere. Alle Ärzte, die in Amsterdam sind, muß-
ten ihm rathen. Er verschluckte ganze Feuereimer voll Mixturen
und ganze Schaufeln voll Pulver, und Pillen wie Enteneier so
groß, und man nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apo-
theke. Aber alles Doktern half ihm nichts, denn er befolgte nicht,
was ihm die Ärzte befahlen, sondern sagte: „Fouder, wofür bin ich
ein reicher Man::, wenn ich soll leben, wie ein Hund, und der Doktor
will mich nicht gesund machen für mein Geld?" Endlich hörte er von
einem Arzt, der 100 Stunden weit weg wohnte, der sei so geschickt,
daß die Kranken gesund werden, wenn er sie nur recht anschaue, und
der Tod gehe ihm aus dem Wege, wo er sich sehen lasse. Zu dem
Arzte faßte der Mann ein Vertrauen und schrieb ihm seinen Umstand.
Der Arzt merkte bald, was ihm fehle, nämlich nicht Arzenei, sondern
Mäßigkeit und Bewegung, und sagte: „Wart', dich will ich bald
kurirt haben." Deswegen schrieb er ihm ein Brieflein folgenden
Inhalts: „Guter Freund! Ihr habt einen schlimmen Umstand, doch
wird euch zu helfen sein, wenn ihr folgen wollt. Ihr habt ein bös
Thier im Bauch, einen Lindwurm mit sieben Mäulern. Mit dem
Lindwurm muß ich selber reden, und ihr müßt zu mir kommen. Aher
fürs erste, so dürft ihr nicht fahren oder auf dem Rößlein reiten, son-
dern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt ihr den Lindwurm
und der beißt euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz
entzwei. Fürs andere dürft ihr nicht mehr essen, als zweimal des