1853 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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§. 6. Schon rauschten dicke Regentropfen durch das Laub der Eiche.
Da raffte der erschrockene Knabe sein Körbchen auf und entfloh. Das
Gewitter war über seinem Haupte. Regen und Sturm nahmen über-
hand; der Donner rollte schrecklicher; das Wasser strömte aus seinen
Locken und von seinen Schultern. Kaum vermochte er seines Weges
zu wandeln. Plötzlich faßte ein heftiger Windstoß das Körbchen in der
Hand des Knaben und zerstreute alle seine sorgsam gesammelten Blumen
über das Feld hin.
§. 7. Da entstellte sich seine Gebärde und mit zürnendem Unmuth
schleuderte er nun auch das leere Körbchen zu seinen Füßen auf den
Boden. Laut weinend und durchnäßt erreichte er endlich die Wohnung'
seiner Eltern. — Weiser Sohn der Erde, ist dein Unmuth und die
Gestalt deines Zürnens lieblicher, wenn dir ein Wunsch versagt ward
oder ein Plan mißlang? —
§. 8. Bald verzog sich das Gewitter, und der Himmel klärte sich
wieder auf. Die Vögel begannen von neuem ihre Lieder und der Land-
mann seine Arbeit. Die Luft war reiner und kühler geworden, und
eine süße Ruhe herrschte da, wo kaum noch Stürme gebraust hatten.
Dem neu getränkten Gesilde entquollen Stärkung und Wohlgeruch. Alles
schien erneut und verjüngt, als käme die Natur so eben erst aus den
Händen ihres Schöpfers, und die Bewohner des Feldes blickten mit
dankbarer Freude zu dem fernen Gewölk empor, was ihren Fluren
Segen und Gedeihen gebracht hatte.
§. 9. Bald lockte der heitere Himmel den verscheuchten Knaben
von neuem in das Gesilde: Beschämt über seinen Unmuth ging Erich
in der Stille zurück, danut er sein weggeworfenes Körbchen wiedcrsinde
und abermals mit Blumen fülle, St fühlte sich neu belebt. Der
Hauch der kühlern Luft, der Geruch des Feldes, das Laub der Bäume,
der Gesang des Waldes, alles schien ihm jetzt doppelt schön. Das
beschämende Bewußtsein seines thörichten und ungerechten Unmuths
machte seine Freude sanfter und bescheidener.
§. 10. Noch lag das Körbchen da, wo der Hügel sanft sich ab-
dachte. Eine Brombeerstaude hatte es zurückgehalten und gegen die
Gewalt des Windes geschützt. Dankbar blickte der Knabe die Staude
an und lös'te das Körbchen. Aber wie froh war sein Erstaunen, als
er um sich her schaute. Das Feld glänzte, wie ein Sternenhimmel.
Weil es geregnet hatte, waren tausend frische Blüthen hervorgesproßt,
tausend Knospen geöffnet, und auf den Blättern perlten Thautropfen.
Erich schwärmte still entzückt umher, wie eine emsige Biene, und pflückte.
§.11. Da neigte sich die Sonne zum Untergange, und der
fröhliche Knabe eilte mit vollem Körbchen zur Heimath. Wie entzückte
ihn sein Blumenschatz und der Perlenkranz seiner frisch gesammelten
Erdbeeren. Die untergehende Sonne umstrahlte sein freundliches Antlitz,
während er heim wandelte. Aber noch freundlicher glänzte sein Auge,
als er den Dank und die Freude der zärtlichen Schwester vernahm.