1855 -
Mainz
: Kirchheim
- Autor: Hepp, J.
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch, Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Katholische Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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ihn auf einen Stuhl am Bette, banden einen Bindfaden daran und
knüpften diesen ganz leise um Leopolds Arme. Er sah sich betroffen
um, und das Erste, was ihm in's Auge siel, war — der Stein auf
dem Stuhle.
Anstatt diesen im Stillen abzuknüpfen und aufzustehen, hob er
ein fürchterliches Geheul an. Die ganze Familie lief zusammen,
und selbst der ernsthafte Vater mußte von ganzer Seele lachen, als
er den Langschläfer, an einen Stein gebunden, so da liegen und wie
ein kleines Kind heulen sah. „Den Spott und die Schande," sagte
der Vater, „hast du verdient, und ob ich gleich sonst Neckereien unter
Geschwistern nicht liebe; so will ich doch nicht abwehren, wenn sie
dich bei der ersten ähnlichen Veranlassung wieder eben so heim-
schicken, wie diesmal."
Von der Zeit an setzte sich Leopold flugs auf und rieb sich
den Schlaf aus den Augen, wenn er nur leise geweckt wurde, und
oft erwachte er früher als seine Geschwister von selbst, weil ihm
das Angebinde im Traume vorkam. Dadurch entwöhnte er sich des
langen Schlafens und dankte es in der Folge seinen Geschwistern mit
Hand und Mund, daß sie ihn auf eine so eigene Art gebessert hatten.
38. Iß nichts, was du nicht kennst.
Ein Paar Knaben gingen an einem Bache spazieren, an dessen
Ufer das Vieh einige Wurzeln von dem Wasserschierling heraus-
getreten hatte. Die Knaben hielten die Wurzeln fürpastinakwurzeln^
aßen mit großem Vergnügen davon und gingen dann nach Hause.
Der eine, ein sechsjähriger hübscher Junge, war kaum ein Paar
Minuten zu Hause gewesen, als er schon über schreckliche Schmerzen
im Magen klagte. Dann fing sein ganzes Gesicht fürchterlich an
auszusehen, bald fühlte und hörte und sah er nichts mehr, er ver-
drehte die Augen und knirschte mit den Zähnen, welche er jedoch
nicht auseinander bringen konnte. Aus seinen Ohren strömte Blut.
An seinem Herzen fühlte man einen großen Klumpen, welcher stark
klopfte, besonders wenn man die Hand daran hielt, und öfters
schien es, als wenn er sich erbrechen wollte, welches aber nicht an-
ging, weil der Mund fest verschlossen war. Am ganzen Leibe hatte
er die entsetzlichsten Zuckungen und verdrehete die Glieder so fürchter-
lich, daß es Niemand ansehen konnte. Oft bog er den Kovf hinten
über, und den Rücken machte er so krumm, wie einen Bogen. End-
lich fiel er in einen festen Schlaf, aus welchem ihn nichts erwecken
konnte — er starb. Nach seinem Tode fingen das Gesicht und der
Bauch an aufzuschwellen, an den Augen war ein blauer Ring, und
aus dem Munde floß ein grüner Schaum, welcher so oft wiederkam,
als er abgewischt wurde. Der andere Knabe, welcher ein Paar
Jahre älter war, starb auf eben diese Weise. — Man hatte zwar
Aerzte herbeigerufen, aber die unglücklichen Kinder konnten nicht
mehr gerettet werden. Schnabel.
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