1861 -
Stuttgart
: Hallberger
- Autor: Reiser, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch, Lesebuch, Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Katholische Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
„Pfui," antwortete Erich, „da müßt' ich ja Lügen, und die
Schamröthe meiner Wangen würde mich bald verrathen."
Da sagte der Aelteste: „Erich hat Recht. Hört, ich weiß ein
anderes Mittel. Sieh, Erich, wir wollen sie pflücken, dann kannst
du daraus schwören, du hättest es nicht gethan." Dem stimmten
Erich und die Andern bei u«d brachen die Früchte und verzehrten
sie unter einander. __________
Als nun die Dänlmerung kam, giengen die Knaben nach ihrer
Heimat. Erich aber blieb noch im Garten, denn er scheute das
Angesicht seines Vaters, und wenn er die Thür des Hauses hörte,
erschrack er, und es gránete ihm in der Dämmerung.
Da kam der Vater selbst, und als Erich seinen Fußtritt ver-
nahm, lies er eilends gegen die andere Seite des Gartens, wo sein
eigenes Gärtchen war. Der Vater aber gieng und sah, wie sie
das Bäumchen beraubt hatten, und ries: „Erich, Erich! wo bist
du?" — Als der Knabe seinen Namen hörte, da erschrack er noch
mehr und zitterte.
Aber der Vater kam zu ihm und sprach: „Ist das dein Ge-
burtstag und mein Dank, daß du meine Bäumchen beraubt?"
Erich antwortete daraus und sprach: „Ich habe die Bäume
nicht angerührt, mein Vater! Vielleicht hat es einer der Knaben
gethan."
Da führte ihn der Vater in das Hans und stellte Erich vor
sich in die Helle des Lichtes und sagte zu ihm: „Willst du deinen
Vater noch täuschen?"
Da erblaßte der Knabe und zitterte und gestand es dem Vater
mit Thränen und Flehen.
Der Vater aber sagte: „Von nun an bleibt dir der Garten
verschlossen . .
Darauf wandte sich der Vater. Erich aber konnte die ganze
Nacht nicht schlafen; ihm graute im Dunkeln; er chörte das Pochen
seines Herzens, und wenn er schlummerte, erschreckten ihn die Träume.
Es war die schlimmste Nacht seines Lebens.
Des andern Tages erschien Erich blaß und verzagt, und die
Mutter jammerte des Knaben. Darum sprach sie zu dem Va-
ter: „Siehe, Erich trauert und ist sehr bekümmert, und der ver-
schlossene Garten ist ihm ein Bild des verschlossenen Vaterherzens."
Der^Vater antwortete: „Das soll er, darum habe ich den Gar-
ten verschlossen."
„Ach," sagte die Mutter, „er beginnt so traurig das neue
Jahr seines Lebens."
„Damit es ihmein freudiges werde," antwortete der Vater.