1842 -
Oldenburg/Holstein
: Fränckel
- Autor: Detlefs, Heinrich
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
ss
ren. Langsam, aber endlich doch, sielen ihm die Schuppen von den Augen,
und die Strahlen des christlichen Glaubens singen an, sein Herz zu erwär-
men und zu erfreuen. — Einst belauschte ibn Wolfgang, wie er in einer
Laube unter den Kindern saß, und die eine Tochter ihm ein einfaches Kreuz
von Ebenholz zeigte, welches sie heute, an ihrem Geburtstage,- von der
Großmutter zum Geschenke erhallen hatte. ,,Aber du, armer Mann,"
sprach das Kind, ,,du kennst den Heiland wohl noch nicht, der hier an's
Kreuz geschlagen ist? Ich will dir von ihm erzählen!" — Und hiermit
begann das Kind seine einfach rührende Geschichte, in welche die übrigen
Geschwister manchen schonen, gehaltvollen Spruch mit cinflochten, den
Christus gesagt hatte. Mulch hörte sehr bewegt zu. Er ließ sich willig
erzählen, was er schon wußte; denn aus dem Munde der Kinder klang
es ihm viel rührender, und zog viel tröstlicher in sein Herz. — „Und
sieh dir den lieben, gekreuzigten Heiland nur recht an!" fuhr das Kind
fort; „wie selbst der Tod sein freundliches Angesicht nicht hat verstellen
können! Ach, seit du und so lieb hast, denke ich immer, du wärest auch
wohl schon ein Christ; denn Jesus sagt ja: Daran soll man erkennen,
daß ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habt!" — „Und
vor allen liebte er auch die Kinder," siel ein Knabe ein. „Er sagte so-
gar einmal zu seinen Jüngern: Lasset die Kindlein zu mir kommen, und
wehret ihnen nicht, denn ihrer ist das Himmelreich!" — Ja, rief Muley,
durch diese kindliche Einfalt ausü tiefste erschüttert, ja, in euren reinen
Herzen wohnt der Friede Gottes! O du großer, heiliger Mann! laß ihn
auch in meine Brust einziehen! — Hiermit ergriff er das Kreuz, welches
ihm das Kind hinhielt, und drückte weinend das Gesicht darauf. — Da
trat Wolfgang hinzu, als habe er von ihrer Unterredung nichts vernom-
men: „Du bist nun ein Jahr bei mir, ich habe dir zeigen wollen, wie wir
nach den Vorschriften unserer Religion unsere Feinde behandeln. Jetzt
bist du frei; du kannst in deine Heimath zurückkehren, wenn es dir ge-
fällt!" — Mulcy schwieg betroffen, und starrte auf das Kreuz in seiner
Hand. Aber die Kinder hängten sich an ihn, und riefen: „Nein, du
sollst uns nicht verlassen; denn dort hat dich doch niemand so lieb, wie
wir!" — Da stürzte er weinend in die Arme Wolfgungs, und rief: Ja,
behaltet mich hier! Stoßt mich nicht wieder hinaus in die leere, lieblose
Welt! Ich will ein Christ werden, wie du tí bist! — Und vor ihnen
stand der alte Naimond. „Muley!" rief er, die Arme ausbreitend. Da
erkannte dieser ihn wieder; sie hielten sich lange sprachlos umfaßt, und dle
Herzen schlugen laut an einander. Du bist mein Engel, sprach Mulcy,
du hast mir einst das Leben, jetzt aber die Seele gerettet! — Der fromme
Naimond aber schüttelte das Haupt, und antwortete: „Nicht ich; der Herr
nur ist mächtig in den Schwachen, und Christus allein ist der Weg, und
die Wahrheit, und das Leben!" —
2». Tvbias Mitt.
Herr Tobias Witt war aus einer nur mäßigen Stadt gebürtig, und nie
weit über die nächsten Dörfer gekommen, dennoch hatte er mehr von der Welt
gesehen, alö mancher, der sein Erbtheil in Paris oder Neapel verzehrt hat.
Er erzählte gern allerhand kleine Gcschichtchen, die er sich hie und da aus ei-
gener Erfahrung gesammelt hatte. Das Besonderste an ihnen war, daß ihrer
je zwei und zwei zusammen gehörten. — Einmal lobte ihn ein junger Be-
kannter, Herr Till, seiner Klugheit wegen. — Ei, fing der alte Witt an und
schmunzelte: wäre ich denn wirklich so klug? — „Die ganze Welt sagt'ö, Herr
Witt. Und weil ich es auch gern wurde"----------Je nun, wenn er das wer-
den will; das ist leicht. Er must nur fleißig Acht geben, Herr Till, wie es