1853 -
Oppenheim a.Rh. [u.a.]
: Kern
- Autor: ,
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Regionen (OPAC): Hessen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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wo möglich. — Mit ruhiger Miene tritt dieser herein und hört nut
flüchtigen Worten von Cäsar's Großmnth. O! sagt er lächelnd, auf
diese hab' ich längst schon gerechnet und ans dem Grunde keinen Gift-
trank, sondern etwas ganz Unschädliches gereicht. — Was geschah *
nun? — In wenigen Stunden war der bloß an Einbildung Erkrankte
wieder hergestellt. Schlez
237. Gedächtniß.
Von Friedrich dem Großen wird erzählt, daß er einst durch das
gute Gedächtniß eines Engländers den Dichter Voltaire in große Ver-
legenheit brachte. Er ließ sich nämlich dessen neuestes, noch unbekann-
tes Gedicht vortragen und hielt während der Zeit den Engländer in
einem Nebenzimmer versteckt. Nach beendigtem Vortrage stellte sich
der König erzürnt, daß Voltaire sich mit fremden Federn schmucke, und
er behauptete, dasselbe Gedicht schon vor einiger Zeit von einem Eng-
länder an seinem Hofe gehört zu haben. Als Voltaire dieß für un-
möglich erklärte, ließ der König den Engländer rufen und ihn das ge-
nannte Gedicht in Voltaire's Gegenwart vortragen, worüber der Dichter
nicht wenig verwundert und bestürzt war.
238. Die Kraft des Gedächtnisses hängt von den körperlichen
Organen ab.
Ein Mann in Brinzka bei Frankfurt a. d. O. hatte mehrere
Wochen _ an einem hitzigen Fieber krank gelegen. Sein Ende scheint
unvermeidlich, und endlich beklagen die Umstehenden wirklich seinen
Tod. Der entseelte Körper wird' in eine Kammer gebracht und auf
Stroh gelegt. Die Frau, von Schmerz und Trauer'überwältigt, be-
gibt sich zu einem Nachbar. Von hier schickt sie nach Frankfurt, um
einen Sarg für den Verstorbenen holen zu lassen. Der Sarg kommt,
und die Frau sieht sich genöthigt wieder in das verödete Haus zurück-
zukehren, um ihren Gatten beerdigen zu lassen. Sie öffnet die Thüre.
Aber welch' ein Anblick wird ihr da! Da sitzt der Todte, völlig an-
gekleidet und so anzuschauen, wie er früher gewesen, beim Hackklötze
und spaltete Küchenholz. Betäubt steht die Frau und traut kaum ihren
Augen.
, Erst das Zureden ihres Mannes, der nicht gestorben, sondern nur
scheintodt gewesen, kann sie wieder zu sich bringen. Sein Staunen
rst indeß nicht geringer. Auch er sieht so Manches, was er nicht be-
greffen kann. Angelegentlichst erkundigt er sich nach der Ursache der
Anstalten, die im Hause vorgehen, sowie nach dem Grunde des Er-
staunens seiner Frau. Man erzählt ihm Alles. Aber er kann sich von
der Wahrheit des Erzählten mcht überzeugen; denn er weiß sich nicht
ernmal zu entsinnen, daß er krank gewesen sei. Erst nach einem halben
^zahre stellt sich allmälig sein Gedächtniß wieder ein.
Nun besann er sich erst wieder auf seiue Krankheit und auf das,
was während derselben mit ihm vorgegangen war.
Lesebuch in Lebensbildern. 4. Aufl.
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