1853 -
Oppenheim a.Rh. [u.a.]
: Kern
- Autor: ,
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Regionen (OPAC): Hessen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Wie sie aber in der Nacht am 17. November 1307 zusammen
kamen und jeder von den Dreien mit sich zur Matte auf Rütli zehn
treue Ehrenmänner geführt hatte, entschlossen, die alte Landesfreiheit
über Alles, das Leben für Nichts zu achten, erhoben die frommen
Drei ihre Hände gen Himmel und schwuren zu Gott dem Herren,
vor welchem Könige und Bauern gleich sind, „in Treue für die
Rechte des unschuldigen Volkes zu leben und zu sterben;
Alles gemeinschaftlich, Nichts eigenmächtig zu wagen und
zu tragen; kein Unrecht zu dulden, aber auch keiu Uurecht
zu thun; des Grafen von Habsburg Recht und Eigenthum
zu ehren und keinem der Könkgsvögte Uebels zuzufügen,
aber den Vögten zu wehren, das Land zu verderben." Und
die dreißig Andern streckten die Hände auf und thaten den Eid, wie
jene, zu Gott, „die Freiheit mannhaft zu behaupten." Und
sie erwählten die Neujahrsnacht zum Werk. Dann gingen sie ausein-
ander, jeder in sein Thal, zu seiner Hütte und winterten das Vieh.
Ii.
Wilhelm T e l l.
Dem Vogt Hermann Geßler war nicht wohl zu Muthe, denn er
hatte ein böses Gewissen. Es dünkte ihm, als wenn das Volk wüthi-
ger umherginge und trotziger aussähe. Darum ließ er den herzoglichen
Hut vou Oestreich erhöhen auf einer Stange in Uri und befahl: Wer
vorübergehe, solle demselben Ehrerbietung erweisen. Daran wolle er
erkennen, wer wider Oestreich sei.
Und Wilhelm Tell, der Schütz von Bürgten, ging vorüber, einer
von den Männern auf dem Rütli, aber er beugte sich nicht. Alsbald
führten sie ihn gefangen zum Vogt, und dieser sprach ergrimmt:
„Trotziger Schütze, so strafe dich deine eigne Kunst! Einen Apfel lege
ich auf das Haupt deines Söhnleins, den schieße herab und fehle
nicht!" Und sie banden das Kind und legten auf das Hanvt desselben
einen Apfel und führten den Schützen weit davon. Er zielte; da
schwirrte die Bogensehne; da brach der Pfeil den Apfel. Alles Volk
jauchzte freudig. Geßler aber fragte den Schützen: „Wozu trägst du
noch den andern Pfeil bei dir?" Es antwortete Tell: „Hätte der
erste nicht den Apfel getroffen, dann gewiß der andere dein Herz!"
Darüber erschrack der Vogt und ließ den Schützen greifen und auf ein
Schiff führen nach Küßnacht, wohin er selbst zu fahren gedachte. Der
See ging aber hoch, und die Schiffsleute verzagten. Je weiter im
See, desto größer die Todesnoth; denn da stiegen Uferberge jäh aus
dem Abgrunde des Gewässers, wie Mauern zum Himmel. In schwerer
Angst ließ Geßler dem Tell die Fesseln abnehmen, damit derselbe, als
guter Schiffer, das Fahrzeug lenke. Aber der Tell lenkte es gegen
die kahle Wand des Axenberges, wo eine nackte Felsplatte wenige
Schritte weit in die See hervortritt. Schwung und Sprung, — der
Tell hinaus auf die Platte, — noch jetzt Tellsplatte genannt — das
Schiff hinaus aus den See.