1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
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I. Erzählungen.
barfeit und ein stummes Lob des unver-
geßlichen Königs.
Einige Zeit nach seinem Tode wurde
nebst vielen andern Dingen auch die
Menagerie verkauft, die er in Nymphen-
burg gehalten hatte: viele seltene Thiere
mannigfaltiger Art, auch überseeische
Loris, Papageien und deutsche Staare.
Von den letztem waren schon alle ver-
kauft; nur einer war noch übrig, der
letzte und von unscheinbarem Aeußern.
Still und mit struppigem Gefieder saß
er auf der Stange, als ob er sich noch
über den Tod seines Herrn betrübte,
wie etwa ein alter Diener, wenn nach
dem Tode seiner Herrschaft das Haus-
geräthe fortgeschafft wird, unter dem er
alt und grau geworden war, stumm
umhergeht und sich grämt, daß er das
Alles überlebt. Als nun der alte un-
scheinbare Vogel unter den Hammer
kam, bot Niemand darauf, und nachdem
ihn der Ausrufer drei- oder viermal
angeboten hatte und Alles schwieg, wurde
der Käfig mit dem Staare in eine Ecke
bei Seite gesetzt und andere Dinge aus-
gerufen. Auf einmal schallt es aus der
Ecke: „Max Joseph! Vater Max!" —
Alle Köpfe wendeten sich nach der Stzite
hin, woher der Ruf kam. „Wer ist's?
wer ruft?" fragten Viele; und da Einer,
der dem Käfig zunächst stand, sagte:
„Es ist der Staar, der weggesetzt worden
ist," da riefen Alle wie aus einem Munde:
„Den Staar, den Staar her!" So kam
der unscheinbare Vogel mit einem male
zu Ehren, weil es eben Jedem vorkam,
als habe die treue Liebe, die er selbst
im Herzen hegte, durch den Vogel eine
Stimme bekommen. Der Staar selbst
aber, da Alles um ihn her so lebendig
wurde, und alle Anwesenden ihn lieb-
kos'ten und lobten, wurde nun auch ganz
munter und rief in einem fort: „Max
Joseph! Vater Max!" nicht, wie man
zu sagen pflegt, als ob er dafür bezahlt
würde, sondern so recht aus vollem
Herzen. Da wollte nun Jeder den be-
redt gewordenen Vogel haben, und die
Gebote jagten und überstiegen sich, so
daß wohl nie ein Staar so theuer be-
zahlt worden ist. Und der, welcher ihn
erhielt, meinte einen Sieg gewonnen zu
haben, und trug ihn im Triumphe nach
Hause, und die Andern beneideten ihn.
Das war denn auch eine Leichenfeier
von eigenthümlicher Art, und gewiß
keine der schlechtesten.
15. Max Joseph in Lambach.
I.
„So wollen des Königs Majestät
wirklich in höchsteigener Person bei mir
übernachten?" fragte der dicke Wirth
„zum goldenen Straußen" in Lambach
wohl zum zehnten mal einen Courier,
der reisefertig auf der Schwelle stand.
„Hab ich's nicht wie vielemal schon ge-
sagt! Haltet Alles bereit, wie ich's an-
befohlen habe," entgegnete der Reiter,
bestieg sein Pferd und sprengte davon.
Lange sah der Straußenwirth ihm nach,
als aber das letzte Staubwölkchen ver-
schwunden war, schnalzte er mit den
Fingern und warf seine Kappe bis an
die Decke der Hausflur. „Zu guter
Stunde kommt mir ein Goldfisch in's
Netz, er soll gute Bewirthung finden,
weiche Betten, aber zahlen muß er auch
gut, zahlen soll er" — bei diesen Wor-
ten verbarg er, wie der Vogel Strauß
seinen Kopf ins Gebüsch versteckt, um
nicht gesehen zu werden, sein Gesicht
in sein Kapperl, damit ihn Niemand
höre; dann traf er Anstalten in Haus,
Hof, Küche und Keller, seinen hohen Gast
nach Würden zu empfangen. Das Ge-
lungenste erschien Herrn Krampelmaier
(so hieß der Wirth) der mächtige Blumen-
kranz zu sein, den er seinem Strauß über
dem Thor um den Hals gehangen hatte,
um damit, „wie durch die Blumensprache
bildlich anzuzeigen, welche Ehre seinem
Hause widerfahren sei," sagte er.
Am Abend, da sich seine Stamm-
gäste versammelten, erzählte er jedem
einzeln, daß Seine Majestät Max Joseph
von Bayern auf seiner Reise zum Wiener
Congresse bei ihm übernachten werde,
wobei er nie unterließ, auf das Wohl
seines allergnädigsten Landesherrn ein
Glas zu leeren, bis er „zur Vorfeier