1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
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I. Erzählungen.
nun ein anderes Bild von gleicher Größe,
strafte dadurch die Professoren der Aka-
demie Lügen und zwang sie, ihr früheres
Urtheil zurückzunehmen. Mit ausdauern-
dem Fleiße ging er nun an die aufge-
gebene Preisarbeit. Vollendet stand das
Bild da, eines Preises ,würdig; jedoch
dem Künstler ohne Hände und mit den
ungestalteten Füßen einen solchen zuzu-
erkennen, dazu konnten sich die Preis-
richter nicht entschließen, und Ducornet
fiel durch. — Er verließ daraufhin die
Pariser Akademie, um unabhängig, so
weit das für den Armen möglich war,
für sich zu arbeiten, und war nun einzig
auf das beschränkt, was er mit seiner
Füße Arbeit verdiente.
Es scheint auch, als wenn er von
der Zeit seines selbstständigen Arbeitens
an Geldunterstützungen von Herrn De-
mailly nicht mehr angenommen habe.
Zufrieden mit Wenigem, lebte er
nun in der tiefsten Zurückgezogenheit
auf seiner einsamen Kammer und schuf
dort eine Menge von Bildern, deren sich
auch Maler mit Händen nicht hätten zu
schämen brauchen. — Bei den großen Aus-
stellungen in Paris trug er mehrere Preise
davon, darunter auch einmal den ersten,
und endlich sogar die große Medaille.
So schaffte ein Maler durch seiner
Füße Arbeit sich durch das Leben, durch
ein Menschenleben, in welchem es oft
20. Liebet
In einem Walde des westlichen Ruß-
land lebte noch vor einigen Jahren
ein wackerer Förster mit seinem jungen
Weibe, zwei holden Kindern und einigen
Jägerburschen in glücklicher Abgeschie-
denheit. Auch zu ihnen war indeß schon
die Kunde von den traurigen Verhee-
rungen gekommen, welche die Cholera
in den östlichen Theilen des Landes an-
richtete, und wie sie immer nach Westen
vordränge. Schon hatte deßhalb der
Förster in der nächsten Stadt sich Ver-
haltungsregeln geben lassen, auch einige
Arzeneien eingekauft, als eines Nach-
mittags ein Jägerbursche die Botschaft
bringt, daß in dem nächsten, eine Meile
entfernten Dorfe die Cholera in ihrer
einem Manne mit gesunden Händen und
Armen und mit rüstigem Körper blut-
sauer wird um's liebe tägliche Brod.
Einen solchen Körper muß jedoch die
Arbeit, und gerade diese Arbeit, die bei
einem wahren Künstler auch den Geist
beschäftigt und die Einbildungskraft mäch-
tig aufregt, doppelt angestrengt haben.
Es war im Jahr 1856, als eines
Tages unserm Ducornet plötzlich der
Pinsel entfiel und die Kräfte ihn derge-
stalt verließen, daß er kaum mehr im
Stande war, sein Gerüste zu verlassen.
Es war eine Lähmung, die diesem merk-
würdigen Menschen- und Künstlerleben
am 27. April desselben Jahres ein
schnelles Ende machte.
Am Sterbebette des Malers ohne
Hände standen zwei Greise mit Thränen
im Auge, zwei Männer, die sich Gottes
Lohn um den Armen verdient, weil sie
Christenpflicht an ihm erfüllt hatten.
Der eine derselben war der Schu-
ster Ducornet, der treue Vater, der
den Sohn so lange mit Geduld und
Liebe, — im eigentlichsten Sinne des
Wortes — getragen hatte. Der andere
drückte dem Sterbenden die müden Augen
zu in dem Bewußtsein, einen: Unglück-
lichen geholfen zu haben; es war der
Menschenfreund, wie es deren so wenige
gibt in unserer so liebearmen Zeit,
Herr Demailly.
ure Feinde.
ganzen Furchtbarkeit ausgebrochen und
bereits eine Menge Bewohner der Krank-
heit erlegen sei. Schnell beschließt nun
der kleine Familienrath, jede Verbindung
mit dem angesteckten Dorfe auf das
strengste zu meiden und auf die An-
näherung jedes Fremden ein wachsames
Auge zu haben. So kommt der Abend.
Die Mutter bettet ihre Kleinen zur nächt-
lichen Ruhe und rückt sich einen Sessel
an die Seite des Gatten, um am kni-
sternden Kaminfeuer mit ihm noch manche
häusliche Sorge zu besprechen. Da schla-
gen die Hunde an, und der eintretende
Jäger meldet: „Draußen ist der Müller
ans dem benachbarten Dorfe; er fliehe,
so spricht er, vor der gräßlichen Seuche