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1. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 41

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
24. Der Rabe zu Merseburg. 41 er als Bote für Geld von einem Hafen zum andern, von einer Insel zur andern geschickt. So lebte und nährte er sich, so trieb er sich bei Bekannten und Freunden um, Anfangs als Wunder an- gestaunt, nachher als gewöhnlich und nützlich betrachtet, bis sich nun der Tag nahte, an welchem diese Kraft und Geschick- lichkeit ihn in sein Verderben zogen. Bei einem großen Feste in Messina, bei welchem sich unter der großen Masse > des Volkes auch der wunderbare Nicola I eingefunden hatte, fiel der König darauf, zu wissen, wie es wohl unten in dem Grunde der bekannten Charybdis aus- sehen möge, unter dem Strudel, welcher schäumt und tobt, der in wiederkehrenden Zeiträumen zum Theil verschluckt wird und dann aus der Tiefe wieder nach einer Pause emporbrauset. Nicola wei- gerte sich lange, so viel Unglaubliches er auch schon in seinem Leben unter- nommen hatte, dieser Tiefe, in welcher die Fluth nie zu rasen aufhört, sich an- zuvertrauen. Er fürchtete, daß er sich im Sturze dort in so enge Felsenriffe verlieren könnte, daß es ihm unmöglich würde, den Rückweg wieder zu finden. Da warf der König einen Becher hinein und Nicola, auf vielseitiges Zureden der Umstehenden, die seine Eitelkeit reizten, stürzte sich ihm nach. Nach einer Zeit banger Spannung tauchte Nicola wieder aus der Fluth, den Becher in der Hand. — Der kühne Taucher erzählte von ganz fremden und unbekannten Seeungeheuern, die dort in der Tiefe wohnten zwischen den engen und weitern Felsenriffen und Schlünden, die wie ein ungeheures La- byrinth sich dort unten ausstreckten, von riesenhaften Polypen, welche in ungeheu- rer Größe dort an den kantigen Felsen fest angewachsen seien; einige habe er gesehen, in deren haarigen Flossen oder Armen große Fische sich windend und krümmend ruhten, die diese Polypen an sich drückten und aussogen. Indem er dies Schauspiel schaudernd betrachtet, hätten sich ihm von einer andern Seite schon zwanzig dieser dünnen und langen armartigen Sehnen entgegengestreckt, die ihn ebenfalls hätten umschlingen wollen, um ihn nach dem noch größern, fest- sitzenden Polypen hinzuziehen, damit er dem grauen, farblosen, ungestalteten Scheu- sal zur Speise dienen könne. So habe er schnell den Becher ergriffen und die wiederkehrende Fluth benützt, um sich wieder aus den Felsenriffen und den Spalten hervor zu arbeiten und das Tageslicht zu schauen. Nun berichtet die Erzählung weiter: Der König, dessen Neugier noch mehr sei gestachelt worden, habe einen zweiten Becher hinunter geschleudert und dem Schwimmer außerdem eine große Summe Gold gezeigt, die er ihm schenken wolle, wenn er auch den zweiten Becher dem Abgrunde wieder entführe. Nicola, so entsetzt er von den unterirdischen Schau- spielen gewesen, habe sich von Eigennutz und Gier nach Geld blenden lassen, sei nach einigem Bedenken wieder in den Sprudel gesprungen, aber niemals wie- der erschienen*). *) Dieser Erzählung entnahm Schiller den Stoff zu seinem Gedichte: „Der Taucher". 24. Der Rabe Zu Anfang des sechzehnten Jahr- hunderts regierte als Bischof von Merse- burg a/S. Thilo von Th rot ha. Dieser war ein gar jähzorniger Herr, zumal, wenn ihm irgend eine Wider- wärtigkeit seine gute Laune verdarb. Dies geschah einstmals, als er den gan- zen Tag auf seinem Rosse durch Sumpf und Moor gesprengt war, ohne nur ein einziges Wild erlegt zu haben. Ver- drießlich zog er heim nach seinem Schlosse, zu Merseburg. warf die Jagdkleider ab und begab sich in sein Gemach, wo sein alter Kämmerer Johannes, ein silberhaariger Greis, seiner haarte. Nun besaß der Bischof einen goldenen Siegelring, der ihm als Geschenk eines Freundes besonders theuer war, und den er in einem Kästchen auf- zubewahren pstegte. In der Eile hatte er dasselbe am frühen Morgen unver- schlossen mit dem Kleinod am offenen Fenster stehen lassen, und als er jetzt
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