1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
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Ii. Bilder aus der Länder- und Völkerkunde.
wurde Otto wider Heinrich beim Kaiser
Friedrich klagbar; allein dieser bestätigte des
Letzteren Unternehmen. Zu größerer Be-
deutung gelangte München, als nach der
Theilung des Landes in Ober- und Nie-
derbayern 1255 Ludwig der Strenge
seine Residenz hierher verlegte. Kaiser
Ludwig der Bayer war München zum
Dank für die Treue seiner Bewohner be-
sonders zugethan und stets bestrebt, es groß
und reich zu machen. Zwar trat bald dar-
aus in Folge der Landestheilungen und der
vielfachen innern Unruhen einiger Stillstand
im Wachsthums der Stadt ein; aber als
dieselbe wieder Hauptstadt der vereinigten
Gebiete geworden, erhielt sie neue Zierden
und mehrfache Erweiterungen. Herzog Si-
gismund legte im Jahre 1468 den Grund-
stein zur Frauenkirche. Albrechts. grün-
dete die Hofbibliothek, Schatzkammer, Ge-
mäldegallerie, das Münzkabinet, den Anti-
kensaal und legte so den Grund zu jenen
Sammlungen, welche unter König Ludwig I.
zu großartigster Entfaltung gebracht wur-
den. Herzog Wilhelm V. erbaute 1583
die prachtvolle St. Michaelskirche und für
sich eine Burg, jetzt Maxburg genannt;
Kurfürst Maximilian I. schmückte die
Brunnen mit Statuen, den Marktplatz mit
der schönen Mariensäule, die Frauenkirche
mit Kaiser Ludwig's Grabmal; er baute
das Joseph's - ^und Herzogsspital und die
neue Burg odevfeste in der Residenzstraße.
Kurfürst Ferdinand Maria ließ die
Theatinerkirche, Maximilian Iii. ein präch-
tiges Opernhaus bauen; unter Karl Theo-
dor entstand der englische Garten, die
Wälle wurden theilweise niedergerissen und
viele neue Gebäude errichtet; auch unter
König Max Joseph I. erfuhr die Stadt
namhafte Vergrößerung, und so war aus
dem unansehnlichen Dorfe eine stattliche
Residenz mit 40,000 Einwohnern entstan-
den. Staunenswerth aber ist das Wachsen
und Aufblühen der Stadt seit dem Regie-
rungsantritte Ludwig's I. — Jetzt zählt
München nahe an 170,000 Einwohner, also
viermal so viel, als vor 50 Jahren. Ein
Münchener aus dem Ende des vorigen
Jahrhunderts würde seine Stadt kaum wie-
der kennen. Wo sonst Wälle und Gräben
und düstere Festungsmauern die Stadt um-
starrten, breiten sich große freie Plätze aus,
von denen geräumige, luftige Straßen nach
allen Seiten auslaufen; wo ehedem öde,
mit magerm Gras und Ginster bewachsene
Heide sich hinzog, stehen nun erhabene
Tempel, prachtvolle Thore, prunkende Pa-
läste, dazwischen eherne Denkmale, umfrie-
det von zierlichen Anlagen. Das jetzige
München braucht sich vor keiner Residenz
Deutschlands, ja Europa's in Schatten stellen
zu lassen; es ist eine Stadt, würdig eines
Königssitzes.
Wenn du, junger Leser, einmal nach
München kommst, dann rathe ich dir, vor
Allem den Petersthurm nächst der Frauen-
kirche zu besteigen, auf dem sich die städtische
Feuerwache befindet. Hier liegt das Häu-
sermeer zu deinen Füßen ausgebreitet und
die geschäftigen Menschen in den Straßen
kommen dir wie wimmelnde Ameisen vor.
Von diesem Thurme aus kannst du dir den
Plan der Stadt zurecht legen und leicht
wirst du dir dann das Netz der zahlreichen
Straßen und Gassen zu entwirren vermö-
gen. Und noch eine interessante Belehrung
lohnt dir die Mühe des Besteigens. Der
Thurmwächter zeigt dir die sinnreiche Ein-
richtung am Rande des Thurmes, an wel-
cher er, wenn auf weitem Umkreise ein
Brand sichtbar wird, bestimmt angeben kann,
in welchem Orte derselbe ausgebrochen, und
ebenso erklärt er dir, in welcher Weise der
Thurm oben mit den verschiedenen Wacht-
lokalen unten in der Stadt in Verbindung
steht, und wie man genau signalisiren kann,
in welcher Straße, ja selbst in welchem
Hause Feuersgefahr sei.
Meine jungen Leser werden es mir er-
lassen, alle Sehenswürdigkeiten der Stadt
zu beschreiben. Das würde viel zu viel
Raum beanspruchen; auch läßt sich das mit
Worten nicht so recht schildern, man muß
es mit eigenen Augen sehen und bewundern.
Und wahrlich, des Schönen, Bewunderns-
werthen bietet München so viel, daß man
wenigstens acht Tage bedarf, um nur das
Merkwürdigste zu betrachten. — Der Ein-
druck , den München hervorruft, ist ein
wahrhaft großartiger. Sind auch die Stra-
ßen der alten Stadt meist eng und winklig,
und geben ihnen die hohen Giebeldächer
ein ziemlich alterthümliches Aussehen, so
erregen doch die prachtvollen Läden und
Auslagen, ausgestattet mit allen Gegen-
ständen der Kunst und des Luxus, unser
Staunen. Hier hauptsächlich pulsirt der le-
bendige'verkehr Münchens; hier drängen
sich auf den Fahrstraßen Equipagen aller
Art, auf den Trottoirs Menschen aus allen
Gegenden Bayerns, ja Deutschlands; denn
der Fremdenzufluß in München ist ein
außerordentlicher und beläuft sich an man-
chen Tagen auf mehrere Tausende. — An
den Kern des alten Münchens hat sich mit
allem Reichthums architektonischer Schönheit
das neue in anscheinend natürlicher und
doch überaus künstlerischer Weise angeschlos-
sen. Man kann nicht leicht durch hellere,