1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
51. Die Elbe.
111
51. Die Elbe.
i.
Keines Stromes Wogen durchfluthen
so mächtig Deutschlands Herz, kein an-
derer ist so ganz ein deutscher Strom,
wie die Elbe; sie ist nicht von fremden
Bergen geboren, von fremden Flüssen
genährt, und sie ergießt sich nicht in
fremde Meere, wie Rhein und Donau;
ganz deutsch und von jeher deutsch
geblieben ist die Elbe, deutsch von
der Wiege bis zum Grab. Denn
der Elbe Wiege ruht auf den gewaltigen
Granitblöcken des Riesengebirges, auf
dem bleichen Scheitel der 4,950 Fuß
hohen Schneekoppe, wo das feuchte
Moos, das den Thau des Himmels auf-
saugt, der Quelle ihr erstes Wasser reicht.
Die grauen Häupter der Bergriesen um-
stehen die Geburtsstätte des jungen Stro-
mes; nirgends öffnet sich ein Blick in
die Ebene; der Himmel deckt den Neu-
gebornen mit dem zarten Flaum seiner
Wolken und fast das ganze Jahr hin-
durch ist er gebettet aus weißem Schnee.
Wohl zählt man sieben Quellwasser, die
aus eben so viel hochgelegenen sumpfigen
Schluchten zwischen der Schneekoppe,
Teufelswiese, Sturmhaube und dem Zie-
genrücken ihr Wasser auf der Raworer
Wiese zusammenziehen, welche vorzugs-
weise Elb wiese genannt wird; aber
diese liefert doch nicht die stärkste der
Elbquellen, sondern muß diesen Vorzug
der weißen Wiese einräumen, welche
überdies noch 15 Klafter höher liegt,
als alle übrigen Elbquellen. Sie breitet
sich, wohl eine Quadratstunde groß, auf
dem östlichen Gebirgsflügel aus, die
Elbwiese auf dem westlichen, lehnt sich
an den obern Gipfel der Schneekoppe
und bricht auf der einen Seite als Rand
des Riesengrundes, auf der andern als
Rand des düstern Teufelsgrundes ab.
Das Weißwasser ist von vornherein ein
starker Bach und zieht auch die stärkeren
Zuflüsse an, unter denen das Silberwasser,
der krumme Seiffen und der Sturm-
graben die bedeutendsten sind. Unterhalb
des „Festungshübls", von einer großen
Granitgruppe also genannt, vereinigen
sich die Waffer, und mit einem kühnen,
bang anzuschauenden, aber prächtigen
Sturze von der Höhe der Elb wiese
herab beginnt der junge Strom seinen
Lauf und braust in beständigen Fällen
durch den wilden Elbegrund, ein gar
romantisches, von hohen Gebirgswünden
umkränztes Thal, in dem sich seine eben-
bürtigen Alters- und Landesgenossen,
die Aupe und Jser, sich ihm vereinen.
Beide bieten an ihren Ufern noch groß-
artigere Naturschönheiten dar, ja der
Jser gebührt unter den Flüssen des
Riesengebirges selbst vor der Elbe die
erste Stelle. Es ist in den Haupt- und
Nebenflüssen der Elbe eine Jugendlust
und Frische, eine Kraft und Tollkühnheit,
an welche die Flüsse des Böhmerwaldes
und Erzgebirges, Thüringerwaldes und
Harzes nicht im entferntesten hinanreichen;
aber freilich auch nur das Riesengebirg
hat so mächtige und gewaltige Granit-
blöcke übereinander gelagert, welche das
Riesenkind ohne Gnade zu den waghal-
sigsten Sprüngen hinreißen. Doch bald
wird das Bett weicher, das Gefäll sanfter
und die Ufer sind weniger steil; die Elbe
tritt in das Gebiet des Steinkohlengebirges
ein. Aber wenn sie auch schon zahlreiche
Mühlen treibt, so sind ihre Schultern doch
noch zu schwach, um Kähne zu tragen. Bei
Melnik kommt ihr die Moldau entgegen,
aber nicht mit freundlichem, sondern mit
neidischem Blick; sie kommt von Süden her
und hat schon früher die Richtung des
Flusses, den man nun bis zur Nordsee mit
dem Namen der Elbe beehrt; auch ist die
Moldau früher schiffbar als die Elbe,
und doch entgeht ihr die Ehre, ihren
Namen fortführen zu dürfen. Wenige
Meilen weiter abwärts, bei Lowositz
treten ihr aufgethürmte Felsenwülle ent-
gegen, die sie jedoch mit Hilfe der her-
beieilenden Eg er durchbricht. Die ge-
waltigen Werkstücke weithin über ihr
Bett schleudernd, zieht sie grollend und
schäumend weiter bis zu der geschlossenen
Felsenburg, welche das Erz- und das
Lausitzer-Gebirge abermals ihrem Weg
entgegenstellen. Doch unaufhaltsam don-
nert der Strom gegen die Verschanzung
und durchbricht als Sieger endlich das