1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
61. Schweizer Industrie.
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Dorfbewohner Theil nehmen an dieser
Industrie, welche ihre Waare weithin
„über's Meer" sendet, wie die Stickerin-
nen mit einem gewissen Stolz dem Frem-
den berichten, wenn er sie wegen des
Absatzes befragt.
Der Anfang war wie überall unbe-
deutend; zuerst war es die Leinwand-
weberei, die von St. Gallen aus un-
terstützt und angeregt, dann aber durch
die Baumwoll-Jndustrie verdrängt
ward.
Mit der Musselinweberei allein
beschäftigen sich gegenwärtig in Außer-
Rhoden gegen 11,000 Personen; das
feinste weiße Baumwollengarn wird wie
Seide in die Vorhänge und Halstücher,
Hauben und Schleier hineingestickt, die
gefärbte Baumwolle aber zu Schürzen,
Turbanen, Tapeten, Chorhemden, Man-
chetten, Bettdecken, Tauftüchern, Shawls
u. s. w. verarbeitet.
In St. Gallen sind die reichsten
2) Uhrenfabrikation ti
Wenn man in Gedanken ein paar
Jahrhundert zurückgeht in jene Zeit, wo
die Taschenuhren weder Spiralfeder
noch Unruhe und Schnecke hatten, und
statt der Kette eine Darmseite gebraucht
wurde, oder wo die „Nürnberger Eier"
sehr zierliche Uhren waren und zwei
bis drei Gehäuse die Schwere der klei-
nen Maschine noch vermehrten, und wenn
man nun unsere neuen Uhren betrachtet,
in denen durch sorgfältig eingerichtete
Hemmung von Cylindern bereits die
Schnecken wieder entbehrlich geworden,
die Hauptzapfenlöcher in Rubin gebohrt
sind, und durch den sinnreichsten Mecha-
nismus es möglich geworden ist, die
Uhren so flach und klein zu machen,
daß man sie in einen Fingerring oder
auf ein Armband einfügen kann: so er-
staunt man billig über die rastlose Ar-
beit und den staunenswerthen Fortschritt
des Menschengeistes. Wer auf der In-
dustrie-Ausstellung in Bern (1857) war,
konnte dort silberne Cylinder-Uhren mit
4 Steinen für den geringen Preis von
30 Franken ausgestellt finden, aber auch
die schönsten goldenen Repetiruhren für
220 Franken; für 1000 Fr. war eine
Läden, wo man die feinsten Taschentücher,
es gibt deren das Stück zu 150 Frcs.,
mit den feinsten Weißstickereien, die
prachtvollen auf Tüll gestickten, mit
farbiger Seide und erhabener Arbeit
gezierten Vorhänge, die luftigsten Schleier
und Spitzenkleider bewundern kann.
Die Paläste von Petersburg und
Paris finden da ebenso den Schmuck für
ihre Prachtzimmer, wie die Damen, welche
mit ihrer Toilette in diesen Zimmern
glänzen. Aber auch die farbigen Stoffe,
aus denen der Muselmann seinen Tur-
ban zusammenwickelt, und die mit Gold-
und Silberstreifen prangenden Rideaux,
bestimmt, in den Staatszimmern des
Orients zu glänzen, sind da zu sehen
neben abenteuerlich aufgeputzten Roben,
in denen Mulattin und Negerin einher-
stolziren. So ein Laden in St. Gallen
ist nicht minder sehenswerth als die
Appenzeller Häuser und ihre rührigen
Insassen.
Genf und Ncuenburg.
Uhr zu haben von nur 8 Linien im
Durchmeffer mit einem funkelnden Bril-
lantenbesatz. Und während ein Chrono-
meter (der genaueste Zeitmesser für wissen-
schaftliche Zwecke) schon für einen Preis
von 140 Franken feil war, sah man die
winzigsten Luxusuhren in Brochen, Bra-
celets eingefügt zu Preisen von 2000
bis 3000 Franken! Ein Sachverstän-
diger würde aber nicht minder die aus-
gezeichneten, höchst feinen Instrumente
und Maschinen bewundern, mit denen
man jene Uhren hergestellt hatte, und
auch darin den Gewerbfleiß, die Erfin-
dungsgabe und Geschicklichkeit der fran-
zösischen Schweizer erkennen. Denn
Uhren und Uhren - Instrumente
werden namentlich in den kleinen Kan-
tonen Genf und Neuenburg erzeugt.
Genf ist das schweizerische Paris,
das mit seinem Urbilde den Geschmack,
die Feinheit und Beweglichkeit theilt,
aber den ausdauernden Fleiß und die
Solidität vor ihm voraus hat. Nicht
bloß die Uhren, sondern die meisten
Gold- und Silberwaaren und viele an-
dere feinen Luxusarbeiten in den präch-
tigen Pariser Läden sind Genfer Arbeit.
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