1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
92. Der Brand der Austria.
199
Schwingen, schon darf das Sturmsegel,
womit der Steuermann noch das Schiff
zu lenken und in seiner Bahn zu halten
im Stande ist, nicht mehr gebraucht wer-
den; denn obwohl es aus dem stärksten
doppelten Hanftuche gemacht ist, so zer-
reißt der wüthende, stoßweise kommende
Wind dasselbe doch spielend, ja die
Segel, welche zusammengebunden an den
Raaen vor den Masten hängen, müssen
ganz herabgenommen werden, weil selbst
an diesen kleinen, geringfügigen Gegen-
ständen der Wind zu viel Macht aus-
übt, weil er das Schiff gewaltsam auf
die Seite neigt und es umzustürzen droht.
So seiner Segel gänzlich beraubt, treibt
es nur noch mit den leeren Masten
und ist nunmehr nicht ferner zu lenken,
ist ein Spiel der Winde, ja im höchsten
Stadium des erzürnten Sturmes muß
man sogar die Masten kappen, d. h.
nahe an dem Verdecke abhauen, und
nun fliegt es auf der öden Meeresfläche
umher, rettungslos verloren, nicht durch
den Sturm, der ihm Nichts mehr an-
haben kann, wenn seine Rippen nur
fest sind und die Planken gut und frisch,
sondern dadurch, daß es nicht gelenkt
werden, also auch, wenn der Sturm
vorüber ist, keinen Hafen erreichen kann.
Entweder wird es dann an einer Klippe
zerschellt, oder es bleibt auf einer Sand-
bank sitzen, bis die Wellen ein Brett
nach dem andern losspülen, oder endlich
es treibt auf dem Meere umher, bis
die Mannschaft von Hunger und Durst
zur Verzweiflung gebracht wird und zu
Grunde geht, wenn nicht vielleicht doch
noch der glückliche Zufall den Noth-
leidenden ein Schiff in den Weg führt,
das sie aufnimmt.
Minder lange dauert die Qual der
so durch den Sturm Verunglückten,
wenn dieser sie in einem Insel- oder
Klippenmeere überrascht; zerschmettert
ist bald auf dem glasharten Felsen das
hölzerne, leichte Gebäu, die Trümmer
schwimmen in den Strömungen umher,
der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne,
sucht seine Beute unter ihnen, eine
brandende Welle entreißt Andern die
rettende Planke, mit der sie die nahen
Ufer zu erreichen hofften, und begräbt
sie in des Meeres dunklen Schooß und
am Morgen preisen die Anwohner Got-
tes Güte und danken ihm für den
gesegneten Strand, denn was
die Wogen von der Ladung herauf-
spülen, das gehört ihnen — von Rechts
wegen.
92. Der Brand der Austria.
Am 1. September 1858 verließ die
„Austria", ein gewaltiger Schrauben-
dampfer, unter dem Befehle des Kapi-
täns Heidtmann den Hafen von Ham-
burg, um nach New-Jork zu fahren.
Nebst der an hundert Köpfe zählenden
Bemannung hatte das Schiff noch sechst-
halbhundert Passagiere an Bord, meist
Auswanderer, darunter siebenundfünfzig
Kinder. Das Schiff hatte mit widrigen
Winden zu kämpfen, und erst als man
am dreizehnten Tage der Fahrt in die
Nähe der Sandbänke von Newfoundland
gelangte, wurde das Wetter heiter und
ruhig. Der freundliche Tag hatte am
13. September Nachmittags die meisten
Reisenden auf das offene Deck gelockt;
nur wenige überließen sich in den Ka-
jüten dem Mittagsschlafe. Zu dieser
Zeit wurde das Zwischendeck ausgeräuchert,
aber nicht, wie man gewöhnlich zu thun
pflegt, mit Essigdämpfen, sondern mit
Theer, in welchen man ein Stück glühend
gemachter Ankerkette tauchte. Durch Un-
vorsichtigkeit des die Räucherung vor-
nehmenden Hochbootsmannes gerieth der
Theer in Brand und die Hellen Flam-
men schlugen auf. Wäre Asche zur Hand
gewesen, so hätte der Brand leicht erstickt
werden können; aber man suchte diesen
durch Wasser zu löschen, gab aber da-
durch der Flamme noch mehr Nahrung,
und dieselbe ergriff rasch das Holzwerk.
Die heitere Menge auf dem Verdeck er-
hielt von dem Unfall nicht eher Kunde,
als bis wenige Schritte vom ersten Mast-
baum ein dicker Rauch emporquoll, dem
alsbald die helle Flamme nachfolgte.
So rasend fraß diese um sich, daß schon
nach fünf Minuten eine brennende Scheide-
wand zwischen dem Vorder- und Hinter-
theil des Schiffes entstand. Das Ent-