1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
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Iii. Geschichtsbilder.
140. Die Auflösung des deutschen Kaiserreiches und Deutsch-
lands tiefe Schmach.
In der Schlacht bei Austerlitz (2. De-
zember 1802) hatte das „heilige römische
Reich deutscher Nation" den Todesstreich
empfangen. Zwar wurde die Auflösung
des deutschen Kaiserthumes im Friedens-
vertrage nicht ausgesprochen, aber sie
lag nichts desto weniger in den Bestim-
mungen desselben. Die südwestdeutschen
Staaten hatten, meist auf Kosten Oester-
reichs, namhaften Länderzuwachs erhal-
ten, und deren Fürsten waren zu höheren
Würden erhoben worden, mit welchen
die Pflichten gegen das Reich nicht wohl
mehr in Einklang zu bringen waren.
Aus Bayern und Württemberg waren
Königreiche, aus Baden und Hessen-
Darmstadt Großherzogthümer, aus Berg
und Nassau Herzogthümer geworden.
Die ausdrückliche Bestimmung des
Preßbnrger Friedensvertrages, „daß diese
neuen Würden an dem Verhältnisse der
betreffenden Fürsten zum deutschen Reiche
nichts ändern sollten," war nur ein
Kunstgriff, um über die bereits beschlossene
Auflösung des deutschen Reiches eine
Maske zu ziehen, die seiner Zeit — und
diese kam sehr bald — schon fallen
sollte. Am 12. Juli 1806 traten auf
Veranlassung Napoleons zwölf Fürsten
des südwestlichen Deutschlands zum so-
genannten „Rheinbünde" zusammen, als
dessen Protektor Napoleon sich erklärte.
Eine eigene Bundesversammlung zu
Frankfurt a. M. unter dem Vorsitze des
Fürsten-Primas ward zur Entscheidung
über die gemeinsamen Angelegenheiten
eingesetzt Alle Bestimmungen des Bun-
desvertrags waren darauf berechnet, den
Bund in gänzliche Abhängigkeit von
Napoleon zu bringen und diesem die
Streitkräfte der Bundesfürsten — 63,000
Mann — zur Verfügung zu stellen.
Neben diesem Bundestage konnte die
Reichsversammlung zu Regensburg nicht
mehr bestehen. Napoleon ließ derselben
durch seinen Gesandten am 1. August
erklären, daß er das Dasein einer deut-
schen Reichsverfassung nicht mehr an-
anerkenne, daß das deutsche Reich auf-
gelöst sei. Preußen ließ sich durch
Zuwendung von Hannover und den
Köder einer „norddeutschen Confödera-
tion" unter seinem Protektorate zu still-
schweigendem Einverständniß bestimmen;
Oesterreich aber war nach dem unglück-
lichen Ausgange des Feldzugs von 1805
so geschwächt, daß es sich außer Stande
sah, der Vernichtung des Kaiserthumes
zu widerstreben. Franz Ii. hielt es
unter seiner Würde, einen leeren Titel
ohne Machtbefugniß zu führen und
erklärte in einer Urkunde vom 6. Au-
gust 1806, daß er Verzicht leiste auf
die deutsche Kaiserkrone, da es ihm un-
möglich sei, die mit dem kaiserlichen
Amte übernommenen Pflichten länger
zu erfüllen; er betrachte daher das Band,
welches ihn seither mit dem deutschen
Staatskörper vereinigt, als ausgelöst,
und die Würde eines deutschen Kaisers
als erloschen.
So war in bestimmtester Form das
Ende des heiligen römischen Reiches
deutscher Nation ausgesprochen. Der
Kaiserscepter, welcher seit Karl des
Großen Zeiten tausend Jahre lang von
Deutschlands Königen getragen worden,
war zerbrochen, das Baud zwischen den
Deutschen der verschiedenen Stämme
zerrissen, und die Deutschen hatten auf-
gehört als Nation einen Platz unter
den europäischen Völkern einzunehmen.
Napoleon hatte seinen zweifachen Zweck
erreicht: Deutschland zu spalten und
das gespaltene zu beherrschen, und dann
sich der Welt, wie den Erben von Karls
des Großen Macht, so auch von dessen
Kaiserkrone darzustellen. Das römisch-
deutsche Kaiserthum war dem französisch-
römischen gewichen!
Allerdings war das deutsche Reich
morsch, altersschwach, hinfällig geworden,
und sein Sturz war nur die nothwen-
dige Folge des inneren Zerfalles seit
dem dreißigjährigen Kriege; aber doch
erfüllte sein Untergang viele Gemüther
mit Schmerz und Wehmuth, und mehr
als je regte sich die Sehnsucht nach je-
nem Retter, welcher laut der Volkssage
aus dem Kyffhäuser erstehen sollte. Für