1854 -
Münster
: Aschendorff
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Elementarschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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der Bruder, du hast ja vorhin so gehungert. Ach, Karl, ich
kann nicht, erwiederte Anna; mich dauert das arme Kind, ich
will es ihm geben. Das wollte ich eben auch, sprach Karl,
dann kannst du das deine behalten. Da jedes dem armen
Kinde das seinige geben wollte, so reichten sie endlich beide ihr
Brödchen dem Kinde. Und dieses nahm freundlich dankend die
Gaben an.
Da sahen sie die Mutter heimkommen, welche einen schö-
nen Christbaum in der Hand trug. Die Geschwister sprangen
fröhlich hinaus. Freuet euch nur nicht zu früh, sagte die Mut-
ter; da bring ich zwar den Baum, aber weder Aepfel noch
Nüsse. Die gute Frau Pathe war ausgegangen, und kommt
erst spät zurück. Nur ein Paar Kreuzer Spinnerlohn habe ich
geholt, allein das wird uns kaum genug Brod für das Fest
geben. Aber was seh' ich dort? fragte sie eintretend. Wem
gehört das fremde Kind? — Ach Mutter, sagte Karl, es fror
und hungerte so sehr, da hab' ich es in die Stube geführt.—
Das war brav von dir, erwiederte die Mutter.
Das fremde Kind verlangte nun nach seinem Vater. Sie
gaben ihm ein warmes Kleid und ein Mützchen. Das Kind
lächelte und dankte. Karl begleitete es noch eine Strecke Weges.
Als er zurückgekommen war, reichte ihnen die Mutter einige
Schnitte schwarzen Brodes. Die schmeckten ihnen jetzt, als
seien sie mit dem schönsten Honig belegt.
Unterdessen kümmerte es die Mutter, wo sie wohl etwas
an den Christbaum hernehmen könne. Die Kinder wurden zu
Bette gebracht. Alsdann suchte sie einige Wachslichtlein vom
vorigen Weihnachtsabend hervor, und band diese mit zwei
Brezeln und einigen Birnen in die Zweige. Gesegne es Gott!
sagte sie leise. Ich habe nichts Besseres.
Als nun am Morgen das feierliche Glockengeläute das hei-
lige Christfest verkündete, sprangen Karl und Anna hurtig von
ihrem Lager auf, denn sie sahen durch die Spalte der Thür
ein helles Weihnachtslicht schimmern. Das Christkind ist da,
riefen beide, und eilten in die Stube. Da stand der Weih-
nachtsbaum mit zahllosen Lichtern bekränzt, und rothe Aepfel
und goldene Nüsse hingen in solcher Fülle daran, daß die
Aestlein fast brachen. Ganz oben strahlte aber ein funkelnder