1854 -
Münster
: Aschendorff
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Elementarschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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mich täglich ab.“ — Mit Verwunderung hörte der Abt
diese Erklärung des Mönches und sagte zu ihm: „Mein
Bruder, du arbeitest in dem Weinberge des Herrn; er
wird deine Mühe belohnen und deine Mattigkeit mit ewi-
ger Mahlzeit erquicken.“
63. Das erwachte Gewissen.
Ein reicher Juwelier aus Holland machte eine Reise und
hatte kostbare Juwelen und viel Geld bei sich. Als Begleiter
war ein Bedienter bei ihm, den er als armen Knaben zu sich
genommen und erzogen hatte, und dem er ganz vertraute. Als
sie aber Beide so allein miteinander reiseten, umstrickte die
Begierde, reich zu werden, das Herz des Bedienten; er erschoß
seinen Herrn, raubte dessen Geld und Edelsteine, uni/ warf
den Leichnam in den Fluß. Sodann reisete er nach England
und ließ sich in einer kleinen Stadt nieder. Schlau fing er
zuerst einen kleinen Handel an, und sein Wohlstand schien ganz
natürlich zu wachsen. Man hielt ihn für einen fleißigen und
geschickten Mann, als er nach und nach seinen Handel ver-
größerte. Er heirathete eine Tochter aus einer angesehenen
Familie, er wurde Mitglied des Gemeinderaths, endlich selbst
Bürgermeister. Einst saß er zu Gericht wegen einer Mordthat,
die ein Bedienter an seinem Herrn verübt hatte. Die Ge-
schworenen hatten schon das „Schuldig" ausgesprochen, es
fehlte nur noch an seinem Ausspruche und Alles wartete. Er
schwieg aber, sein Gesicht wurde blaß, und er fing an zu zit-
tern; Jedermann glaubte, er sei Plötzlich krank geworden. Da
stand er auf einmal von seinem Sitze auf, stellte sich neben
den Mörder und rief: „Geschworene, Gott ist ein-gerechter
Richter! Hier stellt er einen größeren Verbrecher vor euch, als
diesen da, mich selbst, nachdem ich dreißig Jckhre lang meine
Schandthat verborgen hatte. Ich habe meinen Herrn und
Wohlthäter, der mich aus dem Staube hervorgezogen hat, er-
mordet. Meine Stunde ist gekommen. Höllenangst plagt wein
Gewissen. Ich begehre mein Recht. Sprecht mein Todesur-
theil!" Entsetzen ergriff die ganze Versammlung. Man führte
ihn in das Gefängniß und schrieb nach Holland. Seine eigene
Anklage wurde von dort aus bestätigt; er wurde zum Tode
verurtheilt und hingerichtet.